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Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Titel: Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Babak Rafati
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würde. Und ich dachte, dass es besser wäre, ihm zu zeigen, dass er und nicht ich diesen Kampf verlieren würde. Ich steigerte mich immer mehr in dieses Szenario hinein. Mit Haltung das Spiel machen. Dann aufhören. Für immer.
    Krug und Fandel schienen ähnlich zu denken. Für sie schien, wenn auch aus anderen Motiven, das Kölnspiel den Schlusspunkt zu setzen. In meinem Kalender sah ich für die kommenden Wochen keine Ansetzung mehr für irgendein weiteres Spiel.
    ■ ■ ■
    Das Ausdünnen bei den Ansetzungen hatte System. Eine Woche nach dem Spiel in Hamburg wurde ich nur noch als vierter Mann im Bundesligaspiel St. Pauli – VfB Stuttgart eingeteilt. Der vierte Mann hat rein administrative Aufgaben. Er steht nicht auf dem Feld, sondern zwischen den Ersatzbänken der beiden Mannschaften. Er überwacht die Auswechslung von Spielern, muss die Nachspielzeit anzeigen, deeskalierend auf die Offiziellen auf den Bänken einwirken. Er leitet das Spiel nicht, sondern arbeitet dem Schiedsrichter zu. In der Bundesliga wurde der vierte Offizielle, seit seiner Einführung vor knapp zehn Jahren, deshalb nie mit einem FIFA-Schiedsrichter besetzt. Jedenfalls bis Dezember 2012 nicht – 20 Monate nach meiner Ansetzung. Das wäre so, ohne überheblich zu wirken, als würde man einen Bundesligatrainer als Balljungen einsetzen. Bei mir geschah dies zum allerersten Mal. Ich war FIFA-Schiedsrichter und nach allem, was vorgefallen war, verstand ich diese Ansetzung nicht als Versuch, mich aus der Schusslinie zu nehmen – sondern als für alle via Fernsehen bundesweit sichtbares Zeichen der Herabsetzung. Fandel selbst hatte einmal auf einem Lehrgang voller Empörung erzählt, dass er in seiner aktiven Zeit selbst einmal bei einem von der FIFA angesetzten internationalen Turnier nur als vierter Mann vorgesehen war, während sein Konkurrent Dr. Markus Merk, die Nummer eins damals in Deutschland, als Schiedsrichter eingesetzt wurde. Für Fandel offenbar eine persönliche Schmach. Im Verlauf dieser Schilderung hatte sich Fandel sehr emotional über die Herabwürdigung seiner Person beschwert und geschworen, das nicht noch einmal mit sich machen zu lassen. Jetzt tat er es mit mir.
    Dass es als Herabsetzung zu verstehen war, wurde nicht nur von mir so wahrgenommen. Die Reaktionen der Kollegen, die mich anriefen, sprachen einhellig von einer weiteren Degradierung, was einer neuerlichen Schwächung meiner Position in der Schiedsrichtergilde gleichkam. Und wieder hatte niemand mit mir geredet. Als ich diese Ansetzung bekam, war ich in einem Hotel und bereitete mich auf ein Spiel in der zweiten Liga vor. Ich war dermaßen enttäuscht, dass meine innere Stimme mir sagte, meine Schiedsrichterkarriere sofort zu beenden und das anstehende Abendspiel zurückzugeben und somit nicht mehr zu leiten. Und vielleicht, so dachte ich, war es genau das, was Fandel mit dieser Ansetzung bezwecken wollte: mich zum Aufgeben zwingen. Ich schwor mir, nicht aufzugeben.
    Ein Schiedsrichter-Kollege hatte mir auch dazu eine Mail geschickt: »Ich bin sehr geschockt darüber, wie mit Dir umgegangen wird. Das hätte es bei Volker (Volker Roth) nicht gegeben … Ich kann mir ziemlich genau vorstellen, wie Deine Gefühlslage aussieht, aber da musst Du durch. Eine fiese Zeit: keine Rückendeckung, kein Kontakt, kein Vertrauen. Aber aufgeben kann jeder! Ich hoffe, Du hast die Kraft, noch weiter durchzuhalten. Solch einem Umgang darf unter keinen Umständen klein beigegeben werden. So hart es sein mag, der Weg ist das Ziel.«
    Vor dem Spiel St. Pauli – VfB Stuttgart begrüßte mich der Schiedsrichterbetreuer mit der Frage, ob ich für das Wembley-Tor der Vorwoche nun strafversetzt wäre, was mich sehr beschämte. In meiner Verunsicherung konnte ich nicht mehr einschätzen, ob es aufmunterndes Bedauern war – oder blanker Hohn. Ich bildete mir ein, dass alle Menschen im Kabinengang mich spöttisch ansahen und mit dem Zeigefinger auf mich zeigten. Ich wich den Blicken aus und senkte den Kopf wie ein Delinquent. Unmittelbar vor dem Anstoß machte mich der Schiedsrichter zum Laufburschen und ließ mich etwas aus der Kabine holen. Ich war misstrauisch. War das ein Test? Ob ich hinschmeißen würde? Ich sah die Verantwortlichen der beiden Vereine miteinander tuscheln. Sie riefen zu mir herüber: »Was denn, Herr Rafati, Sie hier als vierter Mann?« Hatten sie bei Krug interveniert und freuten sich jetzt über ihren Erfolg, dass ich nicht auf dem Spielfeld war? Alle schienen

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