Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
zugesetzt hatte, bekam ich eine SMS, dass ich diese »beiden Leute«, Fandel und Krug, schon »überleben« würde, wenn ich mich nur auf meine Fähigkeiten besinnen und meine Selbstsicherheit zurückgewinnen würde: »Hi, Babak, will dich nicht nerven, ich verfolge deine Spiele mit Interesse und denke dabei parallel zurück. Mir fällt auf, unabhängig von der Pechserie mit deinen SRA (Schiedsrichterassistenten), dass wir beide alles auch schon so hatten. Immer wenn du keinen Lauf bei den Spielen hattest, versuchtest du, alles Weitere im Spiel fehlerfrei zu machen. Das gelingt nicht, du setzt dich unter Druck. Deine besten Spiele hast du geleitet, wenn du »ohne Ziel« reingehst und alles so machst, wie dein Aufstieg war! Cool und mit der Meinung »ich kann das«, ohne dabei immer nachzudenken, ob der Pfiff richtig war. Wer denkt, macht den nächsten Fehler, sagte ich dir oft! Du bist erfahren und gut, lass alles auf dich zukommen, dann nach der Wahrnehmung der Entscheid. Das klappt, ich wünsche es dir von Herzen. Denke nicht an HF (Herbert Fandel) und HK (Hellmut Krug), auch die kann man überleben, an sich selbst glauben.«
Nach dieser Aufmunterung, die mir damals sehr geholfen hat, nahm ich mir vor, keine Gefühle mehr zu zeigen, denn Gefühle zeugen von Schwäche. Die SMS nährte meine Hoffnung, dass ich nur in einer temporären Krise sei und ich Fandel bei entsprechenden Leistungen von meinen Qualitäten noch überzeugen könnte. Das war ein Irrtum, ich sollte es nicht schaffen und ich weiß nicht, ob ich überhaupt noch eine Chance gehabt hatte.
# # # 19.11.2011, 4:35 Uhr # # #
Jetzt saß ich schlaflos in diesem Kölner Hotel fest, lauschte, wie die Klimaanlage mehr und mehr Luft aus meinem Zimmer sog und wartete auf mein Endspiel. Warum war ich noch nach Köln gefahren? Es war doch ohnehin sinnlos. Sie würden mich in die zweite Liga relegieren – und damit in die Bedeutungslosigkeit. Ich frage mich so oft, warum ich mich nicht gewehrt habe? Warum ich mich so in die Enge treiben ließ? Jetzt strampelte ich wie eine Fliege im Netz. Die danach folgenden Wochen würden zeigen, wie sinnlos jeder Versuch sein würde, sich aus diesen Verstrickungen zu befreien.
Ich hätte wissen müssen, dass mit der Machtübernahme durch Krug und Fandel das Bundesligageschäft nicht mehr auf mich zugeschnitten war und ich mich durch das Klammern an diesen geliebten Beruf in Gefahr begab. Vielleicht war ich es ja, der komplett auf dem Holzweg war? Und nicht Fandel. Vielleicht war ich inzwischen wirklich zu schwach und knapp über 40 altersbedingt schon zu ausgelaugt für die ständig größer werdenden Anforderungen im Leistungssport Schiedsrichter? Ich fragte mich allerdings auch, warum ich in der Bundesliga so viele Probleme hatte – während international alles gut lief.
Heute Nachmittag bei meinem Schicksalsspiel, da war ich sicher, würde wieder irgendetwas passieren. Mainz 05 war wieder dabei und beim kleinsten Anlass würde ich das Stadion gegen mich haben. Wollte ich da wirklich auf das Spielfeld rausgehen und mich wieder zum Gespött der Leute machen lassen? Würde ich eine weitere Fehlentscheidung und die Wut von tausenden Fans noch einmal überstehen? Maß ich nicht dem Fußball eine viel zu große Rolle in meinem Leben zu? Meinen Wunsch nach Anerkennung hatte ich doch in meinen anderen Lebensbereichen erfüllt bekommen. Privat, beruflich, menschlich. Warum müssen wir immer erst schwere Schicksalsschläge einstecken, über Monate Erniedrigungen erleiden, bis wir aufwachen und uns der richtige Weg geebnet wird? Warum stieg ich nicht einfach in den Zug nach Hannover und reichte morgen früh meinen Rücktritt ein? Das wäre ein starker, entschlossener Abgang, hörte ich die eine Stimme in mir. Die andere sagte, der weit stärkere Abgang wäre, es heute allen, auch und vor allem Krug, zu zeigen, wie ich ein perfektes Spiel leiten und alle Lügen strafen würde, die mich schon abgeschrieben hatten. Hier in Köln noch einmal erfolgreich zu bestehen, sich mit der Mainzer Mannschaft und ihren Fans zu versöhnen durch eine perfekte Spielleitung, das erschien mir plötzlich der einzig sinnvolle Karriereabschluss. Hier hatte alles begonnen. Nach einem Erfolg könnte ich hier in Köln den Bogen schließen. Das Spiel hatte für mich persönlich auch einen viel zu großen Symbolgehalt, um einfach abzuhauen. Ich dachte auch an die Häme von Krug, der im Stadion auf meine Fehler wartete, wenn ich vor diesem Spiel kneifen
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