Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
Thema. Selbst während meiner Auslandsspiele und in der dritten Liga wurde ich von Schiedsrichterkollegen angesprochen, ob ich nicht auch langsam das Gefühl hätte, dass jemand gezielt gegen mich »Politik« betreibe und ich irgendwelchen Intrigen ausgesetzt sei. Viele trösteten mich mit dem Hinweis, dass mich Fandel und Krug gar nicht aus der Bundesliga mobben könnten, solange ich doch FIFA-Schiedsrichter sei. Das Regelwerk ließ FIFA-Schiedsrichter ohne Bundesligatätigkeit nicht zu. Nach den Regeln mussten Fandel und Krug vor dem Rausschmiss zunächst mal meine FIFA-Tätigkeit beenden. Dann erst könnten sie mich auch als Bundesligaschiedsrichter von der DFB-Liste streichen. Mir lief es kalt den Rücken runter, denn jetzt hatte ich für mich eine Erklärung, warum die beiden so scharf darauf waren, mich ab der kommenden Saison nicht mehr für die FIFA zu nominieren.
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Es waren nicht nur die Zuschriften, Drohbriefe, die Hassaufrufe im Internet, die vielen anonymen Anrufer und die Anfragen der Medienvertreter. Mittlerweile häuften sich die unangenehmen Fragen auch in meinem privaten Umfeld. Es war aufgefallen, dass ich nicht mehr nominiert wurde. Morgens beim Verlassen des Hauses die Nachbarn, beim Tanken, danach beim Bäcker, auf dem Arbeitsweg, in der Bank … überall Fragen: »Sagen Sie mal, Herr Rafati …?« Mein – wirklich liebenswerter – Nachbar fragte immer, wann ich endlich wieder Bundesliga pfeifen würde: »Mensch, Herr Rafati, was wollen die denn immer von Ihnen, ich finde, Sie sind gradlinig und unbeirrbar.« Ein Bahnmitarbeiter in der VIP-Lounge sagte, dass er mich sehr konsequent und somit gut fände. Ich hätte sie umarmen müssen, meine letzten Fans. Aber ich wandte mich nur noch verlegen ab. In den Mittagspausen ging ich ziellos in der Fußgängerzone umher, um nicht mit den Kollegen in die Kantine gehen und über Fußball sprechen zu müssen. Ich hoffte, nicht erkannt zu werden. Aber ich wurde erkannt und angesprochen. Die meisten machten mir Mut, sagten, ich sei kein schlechter Schiedsrichter, ich sei gradlinig und unbeirrt in meinen Spielleitungen, nur halt total unbeliebt. Wollten mich diese Menschen aufbauen oder mich angesichts der Vorfälle auf den Arm nehmen? Ich konnte es nicht mehr richtig einschätzen. Manchmal schaute ich mir einen Zeitungsartikel an, den mir ein Schiedsrichterkollege gegeben hatte, aus dem hervorging, dass ich nicht der schlechteste, lediglich der unbeliebteste Schiedsrichter sei. Selbst Christian Heidel, Manager bei meinem Schicksalsclub Mainz 05, betonte, als er zur Kicker-Umfrage befragt wurde, dass ich nur deshalb zum schlechtesten Schiedsrichter gewählt würde, weil ich immer so arrogant rüberkäme, obwohl dies nicht zuträfe, wenn man mich näher kennen würde. Jeden Zuspruch, den ich von Schiedsrichterkollegen per SMS bekam, las ich hastig, las nochmal, um die SMS anschließend wütend zu löschen. Im System Schiedsrichter ist Mitleid von Kollegen tödlich, weil es bedeutet, dass man schon abgeschrieben wird.
Ich schämte mich und hasste den Zwang, andauernd meine angespannte Situation überspielen zu müssen. Ich erfand ständig neue Ausreden, die teilweise scheinheilig bis abenteuerlich waren, und begab mich weiter in die Rolle eines Schauspielers – und Lügners. Ich sagte, ich sei doch ständig für die FIFA auf Auslandseinsätzen – und da müssten mal die anderen Kollegen ran. Alles war nur noch Schein statt Sein. Ich hatte mich inzwischen sehr weit zurückgezogen und sozial stark isoliert, um wegen der peinlichen Fragen nicht ständig lügen zu müssen. Ich fühlte mich ausgelaugt, leer, wertlos, verachtet, verletzt und mein Leben schien durch und durch sinnlos. Meine Gesprächsbereitschaft mit all meinen Mitmenschen nahm stark ab.Ich merkte zeitgleich, dass ich nicht mehr ehrlich zu mir selbst und nicht mehr mit meiner Seele im Einklang war. Es war keine Sorge vor finanziellen Einbußen, sondern der persönliche Schmerz und meine Eitelkeit, dass mich Fandel und Krug an meiner verwundbarsten Stelle erwischt hatten – meinem Sehnen nach Anerkennung und einem Platz in der Gesellschaft.
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Nach weiteren qualvollen acht Wochen Pause seit meinem Wembley-Tor in Hamburg bekam ich am vorletzten Bundesligaspieltag noch das Spiel Schalke 04 – Mainz 05 übertragen. Wieder Mainz 05! Es war schon ein seltsamer Zufall, dass mich Fandel immer ausgerechnet für die Spiele der Mainzer ansetzte. Entweder er war nicht nur Musiker,
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