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Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Titel: Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Babak Rafati
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weghaben. Beim Schiri-TÜV schien Fandel nur darauf zu lauern, ob der Schiedsrichter bei den Läufen die Zeitvorgaben erfüllte. Wenn der lief, stand Fandel prompt neben den Zeitstoppern und kontrollierte scharf. Jeder der wollte, durchschaute, was lief. Als Fandel nicht locker ließ, brach der Kollege den Test wortlos ab und ging, ohne Fandel auch nur eines Blickes zu würdigen – und kehrte nicht mehr zurück. Fandel rief ihm wütend über den ganzen Sportplatz hinterher, er solle doch erst mal sein Leben in den Griff kriegen. Als ich das hörte, sagte ich zu den Kollegen, hoffentlich tut der sich auf dem Nachhauseweg nichts an und begeht keinen Selbstmord. Im Nachhinein sehr makaber, vielleicht spiegelte sich aber bereits hier meine Gedankenwelt, wie ich selbst reagieren könnte. Der Kollege hatte fertig mit dem System Fandel. Er hätte laut Regel den Test wiederholen können. Aber er hat sein Schiedsrichtertrikot bis heute nie wieder aus dem Schrank geholt.
    Und jetzt, so mein Gefühl, war ich dran. Auf der Rückfahrt starrte ich nur dunkel aus dem Zugfenster. Die Atmosphäre im Abteil war zum Schneiden. Florian Meyer, der mich als fröhlichen, immer umgänglichen Kollegen schätzte, fragte sorgenvoll: »Mensch, Babak, alles okay mit dir?« Ein anderer ergänzte: »Du sagst heute ja gar nichts!« Ich konterte wütend, dass es auch besser sei, wenn ich nichts sagen würde, sonst würde eine Bombe platzen. Ich muss sie alle so wütend angeschaut haben, dass mein Kollege Michael Weiner den Satz ausstieß: »Mensch, der ist ja suizidgefährdet!« Boff, das saß. Wie eine Wolke hing dieser Satz über uns im Abteil. Jeder wusste, Weiner hatte die Wahrheit gesagt. Den Rest der Fahrt haben wir uns nur angeschwiegen.
    Ich habe 25 Jahre Fußballplatz hinter mir, das ist kein Streichelzoo. Und war unter die Top Ten der deutschen Schiedsrichter aufgestiegen. Bis dahin kommt man nicht auf Wattebällchen schwebend, das ist »kein Job für jedermann« und ich bin auch kein »Weichei«, wie Fandel mal die Anforderungen des Schiedsrichterjobs beschrieben hatte. Es ging mir nie darum, dass mich niemand hätte kritisieren dürfen. Wolfgang Mierswa, der Schiri-Boss aus Niedersachsen sagte einmal über mich in einem Zeitungsinterview, Babak Rafati sei ein Schiedsrichter, der »mit dem, was er auf dem Platz leistet, immer sehr selbstkritisch umzugehen pflegt«.
    Kaum einer ging härter mit sich ins Gericht als ich selbst. Es war die Art, wie das auf mich wirkte, dieses Perfide, dieses Hintenrum, dieses Manipuliertwerden, die Ungerechtigkeit und immer, immer wieder das entwürdigende Herabsetzen vor der Gruppe, anscheinend mit dem Nebenaspekt oder sogar dem Ziel, mich auszugrenzen.
    Weiners Satz, ich sei wohl suizidgefährdet, hallte die nächsten Tage in Wiederholungsschleifen durch meinen Kopf. Ich wollte es zunächst nicht wahrhaben, aber immer häufiger hörte ich mich innerlich sagen »Ja, du bist gefährdet« und »Pass auf dich auf!«. Es war, als würde jemand mit einem Schneidbrenner in meinem Kopf sitzen und alles abwracken, was ich bisher in meinem Leben für erstrebenswert und wertvoll gehalten hatte. Und dazu gehörte zweifellos Liebe, Freundschaft und die Freude daran, auf alle Menschen mit offenen Armen zuzugehen. Damit war es jetzt vorbei. Zuerst schloss ich mich in meiner Wohnung ein. Dann verschloss sich mein Herz.
    ■ ■ ■
    Ich merkte in diesem Prozess, wie sich meine Wahrnehmung und mein Gefühlshaushalt veränderte. Die Lage eskalierte. Im Spiel Hoffenheim gegen Stuttgart hatte ich einen Totalausfall, als in der 19. Spielminute bei einem Laufduell eines Stuttgarter Angreifers und eines Hoffenheimer Verteidigers, ungefähr 35 Meter vor dem Hoffenheimer Tor, einer der Spieler zu Fall kam. Wenn es ein Foulspiel gewesen wäre, hätte ich aufgrund des Regelwerks auf Freistoß für Stuttgart und wegen der Notbremsenregelung auf eine Rote Karte gegen den Hoffenheimer Verteidiger entscheiden müssen. Da ich kein regelwidriges Verhalten gesehen hatte, ließ ich weiterspielen, und das Spielgeschehen verlagerte sich auf die andere Spielfeldhälfte. Die Bilder des Protests an der Ersatzbank konnte ich nicht richtig zuordnen. Ich sah es, ich hörte es – aber ich war unfähig, eine Verbindung zum Spielgeschehen herzustellen.
    In der Halbzeit kam mein Assistent zu mir und fragte aufgeregt, warum ich nicht auf seinen Zuruf über das Headset in der besagten Szene reagiert hätte, er hätte mehrmals »Foul, Foul!« gerufen.

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