Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
Nie wieder Herausforderungen, wie das Champions-League Halbfinale zwischen Real Madrid und FC Barcelona mit Wolfgang Stark und seinem Team, das berühmte »Classico«. Damals stand ich neben den mehrfach zu Weltfußballern gewählten Spielern wie Lionel Messi und Cristiano Ronaldo und durfte mitwirken. Oder 2008, als ich beim Länderspiel zwischen Schottland und Argentinien mit Dr. Felix Brych und seinem Team der 4. Mann war und ich auf Armeslänge Entfernung mit Diego Maradona einen der größten Fußballer aller Zeiten als Trainer der argentinischen Mannschaft erleben durfte. Vereine wie Liverpool, Manchester United, Manchester City mit ihren unglaublichen Fankulissen, diesen atemberaubenden Fangesängen, Benfica Lissabon, SSC Neapel, Ajax Amsterdam, Inter und AC Mailand, Spartak Moskau, AEK Athen, Galatasaray Istanbul, Fenerbahce Istanbul, Valencia, Glasgow Rangers oder Liga-Spiele in Katar, waren Geschichte für mich. Mein Herz pochte und meine Seele weinte. Die offizielle Pressemitteilung, die bald über den Sport-Informations-Dienst und andere Presseagenturen sämtliche Redaktionen erreichte, kam ausgerechnet am Tag der Sportgala der BILD-Zeitung Hannover, zu der ich eingeladen war. Ein sehr wichtiger Event, zu dem alles kommt, was Rang und Namen hat – auch im Fußball. Was sollte ich davon halten? Der Termin stand wegen der Einladungen seit Monaten fest. Dass die Meldung über meine Demission punktgenau zur Gala kam, konnte nur wieder einer dieser seltsamen Mainz-05-Fandel-Zufälle sein. Dass es aber auch Ausdruck eines besonderen Vergnügens war, mich in der Öffentlichkeit bloßzustellen, wollte ich mir lieber nicht ausmalen.
Die anwesenden Journalisten sprachen mich, wie zu erwarten war, offensiv an, fragten mich, ob mit der Rückstufung meine Fehlentscheidungen in der Bundesliga abgestraft würden. Jeder muss mir angesehen haben, wie es in mir brodelte. Sie versuchten, meine Wut herauszukitzeln, damit ich etwas Schlagzeilenträchtiges Richtung Fandel und Krug abschoss. Aber ich spielte den Selbstsicheren, den das alles nicht berührte, lächelte, gab Statements »Alles halb so schlimm. War an der Zeit. Alles gut.« und fühlte mich wie bei Star Trek, wenn der Abwehrschirm unter dem Beschuss der Klingonen immer weiter an Energie verliert. Innerlich war ich völlig demoralisiert. Ich sah das glänzende Buffet, die vielen gut gekleideten Menschen, die sich angeregt unterhielten. Ich wandelte durch die Gesprächsgruppen an den Stehtischen wie ein Untoter, den es aus dem Jenseits hierher verschlagen hatte, zum Ausgang. Ich gehörte nicht mehr dazu. Hier war kein Platz mehr für mich. So war das offizielle Ende meiner FIFA-Laufbahn. Stillos. Ohne Danke. Ohne Würdigung. Würdelos.
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Die folgenden Tage verliefen sehr ruhelos. Mit dem Spiel BVB Dortmund gegen FC Augsburg am 1. Oktober 2011 trieb ich dem Finale meiner endgültigen Zertrümmerung entgegen. Das Spiel mit dem späteren Deutschen Meister lief sehr gut. Wir hatten alles gut im Griff. Bis zur 80. Spielminute. Ein Augsburger Spieler foulte einen Dortmunder auf Höhe der Mittellinie an den Ersatzbänken. Ich konnte die Dynamik dieses Fouls nicht komplett übersehen, da ich weiter weg stand – aber mein Assistent und der vierte Mann, die fünf Meter vom »Tatort« entfernt waren, vier Augen, die direkt auf die Szene vor ihnen sahen, brüllten mir gleichzeitig ins Headset: »Gelb! Gelb! Gelb!« Ich selbst hatte, wie der zweite Assistent und der vierte Mann auch nur Gelb und keine Rote Karte gesehen – sodass drei Schiedsrichter gleicher Meinung waren – und so zeigte ich dem Augsburger Spieler die Gelbe Karte. In der Kabine besprachen wir diese Szene mit dem offiziellen Beobachter im Videoscreening und sahen anhand der Fernsehbilder ein, dass diese Szene eine Rote Karte nach sich hätte ziehen müssen. Wir alle hatten uns im schnellen und realen Ablauf der Spieldynamik getäuscht. Für den Spielverlauf völlig unerheblich, weil der BVB das Spiel ganz klar 4:0 gewonnen hatte. Für uns trotzdem äußerst ärgerlich, da diese eine Fehlentscheidung die gute Gesamtleistung des Teams während der restlichen 89 Minuten Spieldauer zunichtemachte.
Als ich hörte, dass der Fernsehreporter die besagte Szene ironisch kommentierte, der Schiedsrichter habe wohl »seine Rote Karte im Hotelzimmer vergessen«, bildete ich mir plötzlich ein, die Stimme Fandels zu hören. Zufall oder nicht, das war genau seine übliche Wortwahl im Schiedsrichterkreis.
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