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Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Titel: Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Babak Rafati
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der Hoffnung, dass sie sich verliebten. So war das damals – und ein bisschen ist das heute noch so. Noch vor dem Sturz des Schahs und den Revolutionszeiten zogen die beiden nach Deutschland. Und hier in Deutschland beginnt meine Geschichte. Es ist auch eine Geschichte vom Leben zwischen zwei Kulturen, zwei Lebenswelten zwischen Vater und Mutter, zwischen Deutschland und dem Iran und meiner Suche nach einer Heimat, in der ich einen Platz finden kann.
    Ich war sechs Jahre alt, als meine heile Welt zum ersten Mal in zwei Teile zerbrach. Es war mit unendlich viel Schmerz verbunden und ich konnte nicht wissen, dass ich noch ein weiteres Mal in meinem Leben an dem Versuch scheitern würde, die Kluft zu überwinden und die zerbrochenen Teile wieder zusammenzufügen. Warum sich meine Eltern scheiden ließen, weiß ich nicht. Ich habe sie bis heute nie gefragt: »Warum habt ihr das getan?« Ich hatte nie wirklichen Streit zwischen meinen Eltern erlebt. Aber ich kenne natürlich meinen Vater und ich kenne meine Mutter, und wenn man die beiden zusammen sieht, dann weiß man, dass sie unterschiedlicher nicht sein können.
    Mein Vater arbeitet als sehr anerkannter und wegen seiner Korrektheit beliebter Berufsdolmetscher für Perser in Behörden und bei Gerichtsverfahren. Er ist ein offener, unglaublich kommunikativer Mensch, der ohne erkennbare Organisation in den Tag hineinzuleben scheint, die Dinge mit seltsamer Ruhe auf sich zukommen lässt und einfach im Moment zu leben scheint, nicht im Morgen oder Gestern. Bei meinem Vater stand die Tür immer offen, wenn überraschend Besuch kam, war er immer erfreut und sagte: »Kommt rein – soll ich einen Tee machen?« Er tat alles, damit sich der Besuch wohlfühlte, war heiter, gelassen, interessiert, aufgeräumt – meine Mutter dagegen war immer sauer, bei ihr musste sich jeder Besuch möglichst vier Wochen im Voraus ankündigen.
    Mein Vater ist im besten Sinne ein Lebenskünstler, ausgestattet mit einer Riesenportion Sozialkompetenz, ruhig und ausgeglichen. Um Äußerlichkeiten kümmert er sich wenig, sie bedeuten ihm einfach nichts. Nie würde es ihn stören, wenn er mit einer farbigen und einer schwarzen Socke vor Gericht erscheinen würde. Er nimmt, was er gerade in die Hände bekommt. Bei meiner Mutter muss immer alles sitzen: das Hemd, der Kragen, pikobello, das sind nicht verhandelbare Stilfragen. Zwei Menschen – zwei verschiedene Welten.
    Geld, Sparen, Reichtümer anhäufen hat im Leben meines Vaters nie eine besondere Rolle gespielt, seine Honorare richten sich heute noch nach dem, was seine Klienten entbehren können – und das ist immer weniger, als was ihm aufgrund seiner guten Arbeit zustehen würde. Ich habe bis heute nicht verstanden, wie das funktioniert. Mein Vater wird von seinen Landsleuten in Hannover vergöttert. Als ich noch bei ihm wohnte und schon in der Bank arbeitete, wo es um Rendite, Profit und Zinsen auf zehn Stellen hinter dem Komma ging, habe ich immer wieder zu ihm gesagt: »Mensch, du musst doch mal sehen, dass du deine Miete, Strom, Telefon, das Geld für einen neuen PC und was du sonst so für die Arbeit brauchst auch mal verdienst! Du kannst nicht den Leuten immer sagen: Zahl mir einfach, was du entbehren kannst!« Er hat mich dann immer freundlich angelächelt: »Mein Sohn, du bist hier in Deutschland in einer Gesellschaft aufgewachsen, wo alles streng nach Regeln geht. Du arbeitest sogar in einer Bank, wo es ausschließlich um Geld und Regeln geht. Ich bin so: Bei mir kann jeder ein- und ausgehen. Und was am Ende bleibt, wird reichen.« Und vielleicht erklärt das auch den steten Zustrom von Kunden, ohne dass er jemals in seinem Leben irgendeine Form von Werbung gemacht hätte. Beklagt hat er sich nie. Vielleicht ist es auch unglaublich klug, wenn man nicht mehr verlangt, als seine Kunden geben wollen. Das war seine Philosophie, mit der ich damals überhaupt nichts anfangen konnte. Denn bei uns war immer alles knapp. Aber sein System funktionierte, wenn auch nicht immer ganz stressfrei. Er war zufrieden mit dem, was er hatte.
    Ich hätte mir damals mehr Sicherheit gewünscht. Perspektive. Und ab und an auch mal ein bisschen Luxus. Wir lebten in einer kleinen Drei-Zimmer-Wohnung. In einem Zimmer war sein Büro – überhaupt war die ganze Wohnung Besuchsraum, vor allem die Küche, wo fortlaufend Tee zubereitet wurde und Klienten warteten. Ich hatte ein kleines eigenes Zimmer und es gab Zeiten, wo ich mit meinem Vater zusammen in einem Bett

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