Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
Möglich, dass die Redaktion wieder einen ihrer »TV-Berater« im Hintergrund um Rat gefragt hatte, wie die Situation aus Profisicht zu sehen war: Gelb oder Rot? Mein Eindruck aber war: Es war jedes Mal dasselbe Scheißspiel. Ich ertrug dieses vermutete Hintenherum nicht mehr. Ich bildete mir mittlerweile ein, ich konnte pfeifen, was ich wollte, irgendwann käme immer eine umstrittene Entscheidung im Graubereich und sie würden mich wieder schlachten. Erst den Fernsehmoderator volltexten, so mein Verdacht, und dann Tatsachen schaffen. Bei der folgenden Benotung den Beobachter einschüchtern, dann mich in der Gruppe und der Öffentlichkeit blamieren und zum krönenden Abschluss am Telefon eiskalt abkanzeln und nervlich vernichten. Krug und Fandel hatten in der Vergangenheit wenig getan, diese Befürchtung zu zerstreuen. Auch hier, so meine Sorge, würde es wieder so kommen.
Und so war es auch. Der offizielle Beobachter schrieb zunächst eine glänzende Bewertung auf meinem DFB-Spiel-Bewertungsbogen: »Genau mit dem richtigen Feeling für Situation und Vergehen ging Babak Rafati diese Spielleitung an … Stets fand er den richtigen Eingriffspunkt. Das war ein Spiel eigentlich wie gemalt. Mit seinen rechtzeitigen Kontaktgesprächen, mit seiner ruhigen, sachlichen u. vermittelnden Art sorgte er für ein prima Betriebsklima. Die Spieler folgten ihm bedingungslos, hohe Akzeptanz und Wertschätzung seitens der Akteure zeichneten das Verhältnis zwischen Spielern und Schiedsrichtern aus. Mit sparsamer, aber wirkungsvoller Gestik, einem freundlichen Lächeln regelte Babak Rafati viele Dinge im Vorfeld. Auch seine Körpersprache vermittelte zu jeder Zeit absolute Kompetenz, Sicherheit und Souveränität … Ein Spiel, das für Babak Rafati bis zur 80. Minute wie am Schnürchen lief, nahm am Ende doch einen schlechten Ausgang. Eine einzige Szene führte zu einer nicht mehr im guten Bereich anzusiedelnden Bewertung. Ein gravierender Fehler, eine fehlende Rote Karte gegen den Spieler Hosagai, dessen brutale Spielweise auch von keinem anderen im Team richtig eingeschätzt wurde. Dies führte letztendlich dazu, dass der Schiedsrichter mit einer Note vom Platz geht, die seiner eigentlichen Leistung über die restliche Spielzeit gesehen überhaupt nicht angemessen erscheint.«
Am Sonntag wieder Einschluss in der Küche. Das Druckgespräch mit Fandel. Üble Vorahnungen, was kommen würde. Nervöse Notizen. Die offiziellen Reaktionen in den Medien waren moderat gewesen, da das Spiel mit 4:0 ganz klar für Dortmund entschieden worden war. Im Normalfall bei einem guten, kollegialen, durch Wertschätzung bestimmten Vertrauensverhältnis analysiert man konstruktiv die Fehler und geht zur Tagesordnung über. Nicht so bei mir.
Anruf bei Fandel. Die Depri-Begrüßung mit trauerumflorter Stimme: »Hallo, Babak.« Das Gespräch kam mir erniedrigend vor. Fandel kaprizierte sich allein auf die Gelbe Karte, die hätte Rot sein müssen. Der Gesprächston war abwertend und kalt. Ich hätte meine Assistenten nicht im Griff, ich müsste sie mehr in die Verantwortung nehmen, die Medien würden uns das nur mit Gelb geahndete Foul von Hosagai die gesamte Halbserie über vorspielen, das sei die »klarste« Rote Karte in der Saison gewesen. Klar, hatte ich im Hotel vergessen. Als wollte Fandel nochmal alle Zweifel beseitigen, was er von meiner Arbeit hielt, fasste er seine vernichtende Kritik zum Abschluss zusammen: »Ein Spiel so zu begleiten, wie du es getan hast, Babak, dass können auch 500 andere Schiedsrichter in Deutschland.« Den Satz habe ich mir nach dem Telefonat damals aufgeschrieben, weil ich es – auch angesichts der sonst positiven Beurteilung im Bewertungsbogen – nicht glauben konnte: Fandel musste ein ganz anderes Spiel gesehen haben als sein eigener Beobachter aus der Schiedsrichterkommission. Vielleicht hatte Fandel – vermutlich auf Druck von Krug – auch gleich dafür gesorgt, dass meine Bewertung nach unten auf 7,9 gesenkt wurde, also unbefriedigend. Ich wusste, das war der Auftakt, um mich als Schiedsrichter endgültig in die 2. Bundesliga zu treten. Die Voraussetzungen dafür waren da, nachdem mich Krug und Fandel aus dem FIFA-Team gefeuert hatten.
Es waren die Ungerechtigkeiten, dieses einseitige Zusetzen, das mich so aus der Fassung brachte. Beim Spiel Dortmund gegen den HSV am 9. April 2011, einen Monat nach meinem »Wembley-Tor«, hatte Schiedsrichter Peter Gagelmann nach einer Notbremse des Dortmunders Mats Hummels im
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