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Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Titel: Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Babak Rafati
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geschlafen habe – was einerseits die Beengtheit der Verhältnisse, andererseits aber auch mein inniges Verhältnis zu ihm zeigt. Trotzdem, ich wollte da raus. Ausreichend Geld verdienen. Ich wollte meinen Platz in der Gesellschaft – und das möglichst weit oben.
    Ich war Deutscher mit Migrationshintergrund und ich wusste, ich würde dreimal mehr Gas geben müssen, um das zu schaffen. Und ich gab Gas. Diesen unbedingten Leistungswillen, es in der Gesellschaft zu etwas zu bringen, Respekt und Anerkennung zu erwerben, meine Strukturiertheit, mein effektives Zeitmanagement und das Verständnis für Zahlen – das alles hatte ich von meiner Mutter, die mir das glatte Gegenprogramm zu den bohemienhaften Lebensweisheiten meines Vaters von Kindesbeinen an einimpfte. Meine Mutter war preußischer als die meisten Deutschen, erfüllt von einem unglaublichen Pflichtbewusstsein, Ordnung, Genauigkeit, Disziplin, Haltung und Zielstrebigkeit. Und jeder Verstoß gegen diese Regeln wurde von ihr sofort abgepfiffen. Wo mein Vater mich einfach in den Arm nahm, bekam ich von meiner Mutter Anweisungen, Anforderungen, Zielvorstellungen. War mein Vater ein warmherziger, aber keineswegs respekteinflößender Mensch, so ging von meiner Mutter stets eine Strenge aus, die ich als Distanziertheit und zu meinem bis heute anhaltenden Leidwesen oft auch als Kälte empfunden habe.
    Meine Mutter teilte mir schon ganz früh ihre Erwartung mit, dass ich mindestens Chefmediziner eines Krankenhauses werden müsse, da habe man eine Stellung in der Gesellschaft, sei geachtet und verdiene gut. Mein Vater hat nie Ansprüche an mich gestellt. Ihm reichte es aus, dass ich da war. Nie hätte er mir gesagt, was ich tun und was ich lassen soll. Er hat keine Grenzen gesetzt – aber er hat auch keine Ziele vorgegeben. Ich habe in frühester Jugend gelernt, mich selbst zu organisieren, mir Ziele zu setzen und für mich selbst verantwortlich zu sein.
    Zwischen den Kalt- und Warmpolen dieser höchst unterschiedlichen Menschen bin ich groß geworden. Und so habe ich von beiden etwas: Den Perfektionismus, die Disziplin und die Leistungsbereitschaft, die Vorliebe für Stil und hochwertiges Design habe ich von meiner Mutter. Die Großzügigkeit in allen Lebensbereichen, die Fähigkeit, offen und herzlich auf Menschen zugehen und sie umarmen zu können, Streit zu schlichten, die Sehnsucht nach Harmonie von meinem Vater. Die Ehe meiner Eltern zerbrach an diesen beiden so gegensätzlichen Lebenseinstellungen.
    In meiner Persönlichkeit bin ich immer wieder mal mehr mein Vater und mal mehr meine Mutter. Meine Mutter sprach hauptsächlich Persisch mit mir – mein Vater gerne Deutsch. Ich glaube nicht, dass ich dadurch einen Schaden davongetragen habe – im Gegenteil. Ich bin weltoffen und meine ganze Wahrnehmung und Auffassungsgabe wurde durch die vielfältigen Anreize schon in früher Kindheit geschult. Allerdings finde ich in meiner Kindheit auch die Quelle für den Anpassungsdruck, es allen jeweils recht machen zu müssen. Zu den höchst unterschiedlichen Charakteren meiner Eltern, mit denen ich als Kind klarkommen musste, kam der stete Wechsel zwischen zwei Kulturen. Mehrfach im Jahr unternahmen wir die lange Reise nach Persien und verbrachten Wochen bei den Verwandten in einer völlig anderen Welt, Aufenthalte, die kein wirklicher Urlaub waren und immer unter einer seltsamen Anspannung lagen, die nichts Gutes versprach.
    Ich war sechs, als mein Vater aus meinem Leben verschwand. Eines Tages fuhr mein Vater alleine die lange Strecke mit dem Auto nach Deutschland. Mich und meine Mutter ließ er zurück. Es war schon häufiger passiert, dass er während unserer Aufenthalte im Iran auf Reisen ging. Nur – diesmal kam er nicht wieder. Erst Monate später sollte ich ihn wiedersehen. Dass die Trennung meiner Eltern der Grund für die lange Abwesenheit war, hatten mir beide nicht erklärt, was mich bis heute noch schmerzt. Sie hielten mich vermutlich für zu klein, um das zu verstehen, vielleicht wollten sie mich auch nicht beunruhigen. Für mich – aber das sollte ich erst später in vollem Umfang erkennen – war es ein Vertrauensbruch. So blieb ich im Iran.
    Wir wohnten in einer Villa bei den Eltern meiner Mutter. Ich habe nur noch schemenhafte Erinnerungen an dieses große, würdevolle Haus mit seinem Garten, in dem große Bäume Schutz gaben vor der Sonne und den heißen Abendwinden. Von meinem Großvater erinnere ich nur noch, wie dieser gut gekleidete Mann jeden

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