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Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Titel: Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Babak Rafati
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Aufgabe, seinen Sohn ausreichend finanziell zu versorgen und zu erziehen, scheitern könnte. Nicht aus Fahrlässigkeit. Sondern aus seiner unergründlichen Zuversicht. In den Iran bin ich seither nie wieder zurückgekehrt – obwohl ich manchmal von der großen Villa und dem schattigen Garten in den heißen Sommern träume und davon, noch einmal dorthin zu reisen und einen Teil meiner Kindheit wiederzufinden. Das sind die Wurzeln meiner kurzen Kindheit im Iran, die mich stark geprägt haben – obwohl ich doch in Deutschland geboren wurde und seit 35 Jahren hier lebe.
    Ich fand ganz schnell in die deutsche Sprache zurück. Ich war auch heiß drauf, mir möglichst rasch alles wieder anzueignen, denn mir war klar, dass ich zurück müsste, wenn ich in der Schule Probleme haben würde. Aber ich hatte keine. Ich war jetzt Deutscher. Wenn ich mich zurückerinnere, sehe ich einen kleinen, glücklichen Jungen, der endlich angekommen war und entschlossen war, aus dieser Chance etwas zu machen und niemanden zu enttäuschen. Seinen Vater nicht, der ihn mitgenommen hatte – und seine Mutter nicht, die ihm eingeimpft hatte, dass er etwas werden müsse und seinen Platz in der Gesellschaft, Anerkennung und Wohlstand nur durch Ehrgeiz, Fleiß und Pünktlichkeit erreichen könne.
    Mit einem Ruck schoss ich nach oben. Das letzte Bild war meine Mutter, wie sie eindringlich auf mich einredete: »Du musst etwas werden, wenigstens Chefarzt in einem Krankenhaus!« Sie schrie das fast raus wie einen Befehl und mit dem Schrei wachte ich auf.
    # # # 19.11.2011, 5:00 Uhr # # #
    Das Erste, was ich im Dunkeln sah, war das pulsende Blau der Digitalanzeige. 5:00 Uhr. Ich war vollkommen durchgeschwitzt, das Kissen, die Daunendecke, das Laken – ich schien wie in einem Salztank zu schwimmen. Ich war wieder im Hotel, an dem Ort, von dem ich so gerne geflohen wäre. Als Nächstes holten mich sofort all die negativen Gedankenketten wieder ein, denen ich durch den Schlaf zu entkommen gehofft hatte. Der Albtraum war nicht zu Ende. Er fing erst an. Schlaf ist ein trügerischer Bruder. Unser Unterbewusstsein schläft nie. Dort kocht und brodelt es weiter, in einer viel größeren Intensität als im Wachzustand, ablenkungslos sind wir auf uns zurückgeworfen. Während wir in unserer wirklichen Welt für ein paar Stunden den kleinen Tod sterben, übernimmt das Unterbewusstsein unser Leben, walkt es durch, zerlegt es in seine Einzelteile, speichert sie ab als Erinnerung, verdichtet und kombiniert die Mosaiksteine der Erlebnisse zu Erfahrungen und baut in diesem Prozess die Albträume, die uns quälen – umso mehr, wenn schon im Wachzustand Chaos herrscht im Kopf.
    Seit meinem erschöpften Wegdämmern waren gerade mal ein paar Minuten vergangen. Das reicht nicht, um das seelische Gleichgewicht wiederherzustellen und Dinge zu ordnen, die über Jahre ihre Unwucht bekommen haben. 5:10 Uhr morgens, knapp etwas über zehn Stunden bis zum Spiel. »Babak, jeder darf einen Fehler machen – nur du nicht!« Ich sprang panisch auf, rannte ins Bad, schlug mit beiden Händen Wasser in mein Gesicht, über die verklebten Augen, die vor Trockenheit rissigen Lippen und trank gierig. Als ich in den großen Hotelzimmerspiegel aufschaute, sah ich etwas, was ich nie wieder vergessen werde. Aus dem Spiegel glotzte die Grimasse eines Fremden, blutunterlaufene Pupillen fixierten mich, die aus einem schwarzen Loch tiefschwarzer Augenringe zu fallen drohten. Ich blickte in die Augen eines Wahnsinnigen und zuckte zurück, um im selben Moment zu erkennen, dass dieser zombiehafte Untote ich selbst war. Meine Gesichtszüge hatten sich völlig gewandelt. Alles Leben, alle Freude war aus diesem Gesicht gewichen, das ich jetzt 41 Jahre kannte. Das war ich nicht mehr. Alles an mir schien wie abgestorben. Das konnte, das wollte ich nicht sein. So also sah das Ich aus, das ich in den vergangenen Monaten vor die Kulisse geschickt hatte, um die Rolle des starken, männlichen, erfolgreichen, strahlenden Alleskönners Babak zu spielen. Jetzt war die Kulisse zusammengebrochen. Von dem, was mein Selbstwertgefühl und meinen Stolz ausgemacht hatte, war nichts mehr da. Meine Maske war gefallen.
    Aus einem Impuls heraus nahm ich das Telefon und wählte eine seit meiner Kindheit fest in mein Gedächtnis eingravierte Nummer in Hannover. Es war ein einziger Hilferuf, der Wunsch, er würde mich vielleicht wieder abholen, mich mitnehmen und mich retten. Ich wusste, er würde jetzt in der Küche stehen

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