Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
Abend, wenn er von der Arbeit kam, in seinem über alles geliebten Garten stand und wie in grünes Licht getaucht gedankenverloren die Bäume, Blumen und Beete gründlich wässerte. Es war eine Art Gottesdienst. Ich habe wenige Erinnerungen an diese Zeit – meine Großmutter kümmerte sich um mich. Meine Mutter arbeitete tagsüber als Hebamme in einem nahen Krankenhaus. Sie musste hart arbeiten und kam abends erschöpft zurück. Ich hatte immer das Gefühl, sie wusste nicht so recht etwas mit mir anzufangen. Ich fühlte mich oft allein.
Mit der Einschulung fand ich dann endlich die Aufmerksamkeit, nach der ich mich sehnte, Ansprache und Anerkennung. Ich hatte viele Freunde und war einer der Besten meines Jahrgangs. Ich hatte besondere mathematische Fähigkeiten, ein ausgeprägtes Gefühl für Zahlen, das mir bei meiner späteren Banktätigkeit noch gute Dienste leisten würde.
In Persien gab es damals die sogenannten »blauen Briefe« für besonders gute Leistungen. Später würde ich in Deutschland lernen, dass der »blaue Brief« sehr negativ besetzt ist und für eine gefährdete Versetzung steht. In Persien aber stand hundertmal »Prima« drauf. Den bekamen nur Ausnahmeschüler. Eine Auszeichnung also. Blau hat in Persien eine besondere, sehr tiefe Bedeutung. Blau, besonders Ultramarinblau, wird aus dem Halbedelstein Lapislazuli hergestellt, der seinen natürlichen Ursprung in Persien und im Hindukusch hat. Entsprechend wertvoll ist diese Farbe, auch für den Bau zahlreicher gleichnamiger Moscheen. Blau ist zudem die fünfte im Regenbogen wahrnehmbare Farbe, in Indien symbolisiert sie das fünfte Energie-Chakra. Und das Betrachten eines blauen Edelsteins bei Kerzenlicht soll einen ruhigen Schlaf ohne Albträume schenken.
Ich schreckte kurz hoch, im Halbschlaf sah ich digital blaue Ziffern, die mir sagten, dass nur wenige Minuten dieser endlosen Nacht vergangen waren, obwohl ich Jahre meiner Kindheit durchlebt hatte.
Als Nächstes sah ich mich, wie ich meiner Mutter voller Stolz meinen ersten blauen Brief reichte. Sie nahm ihn, ohne darauf zu schauen. Ich brachte regelmäßig blaue Briefe mit nach Hause, ohne von meiner Mutter besondere Anerkennung zu erhalten. Für sie war es selbstverständlich, dass es nicht anders war.
Meinen Vater habe ich in dieser Zeit sehr vermisst, zumal seine Abwesenheit mir immer länger und länger erschien. Eine Antwort auf meine Fragen nach seinem Verbleib bekam ich, als ich eines Tages auf der Veranda der Villa ungewollt meine Mutter überraschte, wie sie einen mir völlig fremden Mann küsste. In diesem Moment war meine Kindheit vorbei. Da war ich sieben Jahre alt. Mein Verhältnis zu meiner Mutter hat damals einen Riss bekommen.
Meine Eltern hatten mir nichts gesagt von der Trennung. Sie war hinter meinem Rücken vollzogen worden. Sie hatten mich – sicher um mich zu schützen – nicht an ihren Entscheidungen teilhaben lassen. Ich fühlte mich ausgeschlossen. So traf mich alles unvorbereitet und noch heute fühle ich mich tief verletzt, wenn Menschen wie Fandel und Krug mich ausgrenzen und hinter meinem Rücken Entscheidungen fällen, die alles betreffen, was ich liebe und in Ehren halte. Als meine Mutter später nach Deutschland kam, hat sie immer wieder versucht, alles gutzumachen und die verlorene Zeit aufzuholen. Es wird immer ein Rest von Distanz bleiben.
Als mein Vater wenige Wochen später zu einem seiner turnusmäßigen Besuche in den Iran kam, habe ich ihm alles gesagt. Hier, im Iran, würde ich nach den Geschehnissen keine Heimat mehr finden. Und ich sagte meinem Vater künftig bei jedem Telefonat, bei jedem seiner Besuche und bei jedem seiner Abschiede: »Ich will zurück mit dir nach Deutschland!« Er schaute mich besorgt an, fuhr dann aber wieder ohne mich nach Deutschland zurück. Ich weiß nicht, ob er mich damals im Rückspiegel gesehen hat, wie verzweifelt ich durch die aufgewirbelten Staubwolken seinem Auto hinterhergelaufen bin. Vielleicht.
Von den besorgten Gesprächen zwischen ihm und meiner Mutter habe ich nie etwas mitbekommen. Eines Tages war er da. Er hat einfach gesagt: «Babak, ich nehme dich mit.« Und ich kehrte mit ihm nach Deutschland zurück. Das habe ich ihm nie vergessen. Deshalb haben wir bis heute auch so ein inniges Verhältnis. Das war eine mutige Entscheidung meines Vaters. Da er berufstätig war, hatte er eigentlich kaum Zeit für mich. Ich bin mir trotzdem sicher, dass er keine Sekunde darüber nachgedacht hat, ob er an der
Weitere Kostenlose Bücher