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Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Titel: Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Babak Rafati
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geschlafen hätte. Dass er mir geraten hätte, ich solle das Spiel abgeben und nach Hannover zurückfahren. Allein der Gedanke, das Spiel nicht zu pfeifen, hätte mich wieder auf den Boden gebracht, und jetzt sei wohl alles wieder in Ordnung. Mein Vater meinte, ich würde sicher nur schlafen, um Kraft für das Spiel zu tanken. Das schien für Rouja einleuchtend und beruhigend.
    Rouja wusste um meine Nervosität, die zermürbende Schlaflosigkeit schon Tage vor dem Spiel, unter der ich seit Monaten litt und die für uns beide immer belastender wurde. Sie hatte miterlebt, wie hart ich trainierte, um aus meinem Formtief zu kommen, wie akribisch ich Spiele auswertete, kritische Spielsituationen analysierte, um Fehler zu vermeiden, und sicher wird sie auch die Zettel mit meinen Leitsätzen gesehen haben, die ich zu meiner Selbstmotivation aufgeschrieben hatte. Rouja kannte mein extrem angespanntes Verhältnis zu Herbert Fandel und Hellmut Krug bis ins Detail. Sie wusste, wie sehr mich die Zurücksetzungen und das angekündigte Ende meiner Tätigkeit als FIFA-Schiedsrichter verletzt hatten – und sie erlebte die vielen Telefonate und SMS meiner anderen Schiedsrichterkollegen mit, die mich freundschaftlich zu motivieren versuchten – oder die mit brandheißen Gerüchten aus der DFB-Zentrale meine Person betreffend zusätzlich für Unruhe sorgten. Sie schwieg, wenn ich mich nachts schlaflos im Bett hin und her wälzte, und versuchte mich wie eine Mutter zu beruhigen. Sie spürte, wie angespannt ich war, wenn ich im Wohnzimmer auf und ab lief – aber sie konnte nicht ahnen, wie desolat meine Lage damals innerlich schon war. Nicht nur ihr, auch meiner Familie gegenüber spielte ich die Rolle des Unverwundbaren, des starken Babak, der mit allen Problemen selbst fertig wird. Ich war sicher, ich würde es schon alleine schaffen, diese Durststrecke zu überwinden. Niemand sollte sehen, wie verletzt und labil ich wirklich war. Vor allem Rouja nicht, die Frau, die ich liebte.
    Nach dem Telefonat mit meinem Vater wählte sie erneut meine Nummer. Zu diesem Zeitpunkt war ich nicht mehr fähig, mit der Welt zu sprechen. Die Welt draußen und alle Menschen, die ich liebte, waren auf einen winzigen, nicht mehr sichtbaren Punkt verdichtet, der in meinem Inneren keine Rolle mehr spielte. Ich strudelte bereits tiefer und tiefer in diesen Trichter, in dem alles immer schneller nur um mich selbst kreiste.
    Trotz ihrer Unruhe beschloss Rouja abzuwarten, bis ich mich vielleicht gegen Mittag doch bei ihr melden würde. Wir hatten die eiserne Regel, dass ich am Spieltag spätestens vor der Abfahrt ins Stadion bei ihr anrief. Niemals hatte ich diesen Anruf ausfallen lassen. Sie fuhr mit ihrer Mutter in die Innenstadt von Hannover. Anschließend wollten sie sich beide gemeinsam das Fußballspiel auf Sky anschauen, was sie häufiger taten, um mir zu berichten, wie kommentiert und meine Leistung bewertet wurde. Doch mein Anruf kam nicht. Von unterwegs telefonierte sie erneut mit meinem Vater, sie verabredeten sich auf einen Tee und beratschlagten bei meinem Vater in der Küche, was sie unternehmen sollten. Rouja war aufgelöst. Dass ihr Freund in ein Spiel ging, ohne noch einmal mit ihr telefoniert zu haben, hatte es noch nie gegeben. Rouja schlug vor, jetzt doch im Hotel anzurufen. Doch mein Vater war nicht zu überzeugen, er wollte jedes Aufsehen vermeiden und keine unvorhersehbaren Unannehmlichkeiten bereiten: »Was sollen die Leute denken, wenn wir da anrufen?« Außerdem habe das Gespräch am Morgen ja ergeben, dass alles in Ordnung sei. Die Diskussion über das Für und Wider eines Anrufs im Hotel ging noch eine Weile ergebnislos hin und her.
    Rouja beschloss aufzubrechen. Sie wollte pünktlich zu Hause sein, um sich das Spiel im Fernsehen anzuschauen. Denn, so ihr logischer Schluss, spätestens kurz vor Abfahrt ins Stadion durch meinen obligatorischen Anruf oder beim Anpfiff würde sie ja sehen, dass ihre Befürchtungen gegenstandslos waren, wenn ich auf dem Spielfeld zu sehen wäre. Rouja und ihre Mutter hatten meinen Vater kaum verlassen, als dort die Nachricht über die Ereignisse in Köln eintraf. Doch Rouja war nicht mehr zu erreichen, ihr Handyakku war wegen der vielen Telefonate leer. Ein Umstand, der in der Einsatzzentrale in Hannover für Unruhe sorgte. Es würde noch über eine Stunde dauern, bis auch Rouja die Ereignisse einholten.
    ■ ■ ■
    50 Minuten vor dem Anpfiff, um 14:40 Uhr, erreichten Rouja und ihre Mutter unsere

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