Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
nominiert zu werden, die vielen anderen Zurücksetzungen und ich hörte Herbert Fandel wieder und wieder diesen verhängnisvollen Satz sagen: »Dieser Sport verbrennt Menschen!« Ich wollte nicht mehr sein, einfach verschwinden, mich wegschleichen und mich all dem nicht weiter stellen müssen. Und so dachte ich an Flucht, als wir in der Klinik in Hannover ankamen.
Die weißen Pfleger rammten die Flügeltüren krachend in die Arretierung des Krankenwagens und zogen mich auf meiner Liege wie ein fertig gebackenes Stück Brot aus dem Wagen. Ich prüfte die Gurte, mit denen ich festgeschnallt war. Zu fest. Einfach abhauen und verschwinden. Aber wohin? Egal wo, sie würden mich holen, da war ich sicher. Ich war auffällig geworden. Hatte dem Psychologen in Köln die Show vom starken Mann geliefert – um anschließend auszuflippen. Alles stand in meiner Akte, die wie eine Art psychischer Schufa-Eintrag zusammen mit meiner Person weitergereicht wurde. Jeder Psychologe würde mir zukünftig misstrauen, wenn ich sagen würde, ich bin okay, ich bin wieder voll da. Wenn man erst mal in dieser Spur ist und seine Glaubwürdigkeit verloren hat, gibt es kein Entkommen aus dem ärztlichen Getriebe. Ich hatte Angst, man würde mich nach einer gescheiterten Fluchtaktion endgültig zu dem erklären, was ich überhaupt nicht war: Ich war nicht verrückt. Und weil ich das eben nicht war, verabschiedete ich mich gleich wieder von diesen absurden Gedanken. Wenn ich entkommen wollte, musste ich vorne raus, ganz offiziell, mit Abschlussgutachten und gestempelten Entlassungspapieren und Handschlag des Chefarztes – der einzige Weg, diesem Zwangssystem zu entkommen. Und so fügte ich mich in mein Schicksal, als ich erneut in einer geschlossenen Station unter Verschluss kam.
Dass ich fliehen, mich vor den Medien verstecken könnte, war eine schöne Illusion. Ich wurde sie nicht los, wo ich auch hinfuhr – sie waren schon da. Wie ich später erfuhr, hatten Reporter bereits im Vorfeld bei der Klinikleitung nachgefragt, wann endlich mit meinem Erscheinen zu rechnen sei. Die Aufnahme in der geschlossenen Abteilung sollte somit auch eine Schutzfunktion haben. Ich wurde unter einem Pseudonym eingeschrieben, um eine Identifizierung zu erschweren, vor allem damit Pflegepersonal und Patienten mich nicht als Babak Rafati ansprechen würden. Eine Art psychedelischer Künstlername also, der mich fortan auf meiner Kliniktournee begleiten sollte.
Dieser Zwang, mich verstecken zu müssen, bedeutete, dass ich jetzt doppelt unfrei war: eingesperrt und mit dem Zwang, meine wahre Identität im Zweifelsfall sogar abzuleugnen. Ich kam mir vor wie ein Agent, der eingesperrt in einem russischen Gulag seine neue Legende auswendig lernen soll. Ich entwickelte einen regelrechten Verfolgungswahn, der sich in den kommenden Wochen noch verstärken sollte. War das etwa mein neues Leben? Mich immer verstecken? Mich verleugnen? Tarnen und täuschen? Warum? Ich hatte doch niemandem etwas angetan. All die Gewalt, die ich erfahren hatte und nicht verarbeitet werden konnte, hatte ich allein gegen mich selbst gerichtet – gegen niemanden sonst. Das war mein ganzes Vergehen, für das ich jetzt büßen musste.
Bevor ich erneut unter Verschluss kam, musste ich vor einer Art Tribunal, bestehend aus einer Reihe von sechs ärztlichen Mitarbeitern, Rechenschaft ablegen, was mich zu meiner schrecklichen Tat bewogen hatte. Bevor meine Karriere als Schiedsrichter verglüht war, hatte ich nicht einmal Rouja, also dem Menschen, der mir am allernächsten stand, von meinen seelischen Problemen erzählen können. Bei diesem Einweisungsgespräch für die Klinikaufnahme sollte ich nun sechs wildfremde Männer und Frauen mit Nickelbrillen in ihren asketisch dreinblickenden Gesichtern, gekleidet in weiße Kittel, mit Kugelschreibern im Revers, in die finsteren Abgründe meiner Seele blicken lassen. Einfach so.
Einerseits fühlte ich mich zurückversetzt in die Verhörsituation auf dem Polizeirevier in Köln, was mich empörte und meinen Widerstand erklärte – andererseits hatte ich im Gespräch mit der Psychologin in der Kölner Psychiatrie erlebt, dass es guttat, die aufgestauten Gefühle einfach mal rauszulassen und über das Erlebte zu reden. Wenn du redest, musst du formulieren, um zu formulieren, musst du nachdenken, klare Gedanken fassen, Verwirrtes auflösen und ordnen, neu zusammenfügen – im wahrsten Sinne begreifen. Durch das Nachdenken gewinnst du Distanz und schaust
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