Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
kann. Ich war nicht gesund. Ich schrie plötzlich im Auto los, riss an der Autotür und wollte mich aus dem Auto werfen. Doch meine Schwiegermutter fiel mir in den Arm, klammerte sich an mich, riss mich zurück, während Rouja das Auto mit einer Vollbremsung zum Stehen brachte. Meine Frau wandte sich zu mir um und sagte mit einem Blick, den ich seither nie wieder gesehen habe, dass sie so nicht in der Lage sei, Auto zu fahren, und nicht riskieren wolle, dass ich auf der Autobahn plötzlich Derartiges tue. Sie weigerte sich weiterzufahren. Beide schlugen mir vor, zurück nach Köln in die Klinik zu fahren. Ich tobte, schrie und wütete, denn ich wollte nur nach Hause und raus aus dieser verdammten Stadt.
Trotz meines Widerstands wendete Rouja den Wagen und fuhr mich zurück an den Ort, von dem ich zu entkommen versucht hatte. Ich hasste sie dafür in diesem Moment, mit jeder Faser, ich war innerlich am Toben, denn ich fühlte mich verraten und ausgesetzt. Warum wollten ausgerechnet meine Liebsten mir nicht helfen und das tun, was ich wollte? Ich sah sie plötzlich wie Fremde an, genauso misstrauisch wie die Ärzte in der Klinik, wie die Polizisten im Verhörraum. Sie waren nicht mehr vertrauenswürdig. Mein Blickfeld verengte sich wieder wie in jener Nacht, ich verlor jede Kontrolle über eine sachliche Wahrnehmung.
Als wir auf dem Parkplatz der Klinik ankamen, hatte ich das Gefühl, dass alle Menschen dieser Welt auf diesem Parkplatz auf mich warteten, um mich zur Rede zu stellen. Ich war wie gelähmt und zugleich leer und einfach enttäuscht. Ich weigerte mich auszusteigen. Ich versuchte es bei Rouja mit Argumenten: Was sollten die Klinikärzte denken, hatte ich doch noch am Vormittag einen super Auftritt hingelegt und überzeugend dargestellt, dass ich lediglich einem stressbedingten Blackout zum Opfer gefallen war und ich so etwas Schlimmes nie wieder tun würde. Tatsache war: Ich hatte genau das inzwischen zweimal angekündigt. Ich wusste, würde ich jetzt in die Klinik gehen, würde sie mich diesmal nicht wieder so einfach entkommen lassen. Mein Gesichtsfeld verengte sich weiter. Ich krallte mich in die Rückbank. Die Türen standen offen, zum Aussteigen bereit. Bei empfindlicher Novemberkälte. Mich fror nicht nur äußerlich.
Es dauerte über eine Stunde, bis meine Familie mich überzeugt hatte, dass es besser für uns alle wäre, vor allem für mich, wenn ich mich ärztlich betreuen lassen würde. Rouja sagte klipp und klar, dass sie nicht mehr länger bereit sei, mein Leben zu riskieren. An sich selbst dachte sie dabei am allerwenigsten. Ich musste ein Einsehen haben. Während wir zusammen zur Aufnahme der Klinik gingen, sah ich meine Familie voller Hass an, denn sie hatten mich verraten und sie würden mich vermutlich nun ganz alleine meinem Schicksal überlassen. Das waren meine Gefühle damals. Ich kam mir vor wie ein Verurteilter, der zur Hinrichtung geführt wird. Die Ärzte zeigten sich sehr bestürzt über Roujas Schilderungen und gaben mir starke Beruhigungstabletten. Meine Aufregung verschwand unter einem warmen, flauschigen Teppich.
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Nach der ersten Untersuchung wurde ich sofort in eine Klinik für Psychiatrie verlegt, eine geschlossene Anstalt mit verriegelten Panzerglastüren und Zimmertüren ohne Türknauf und Klinke. War man erst drinnen, kam man nur schwer wieder heraus. Jetzt war ich wirklich gefangen und hatte mit diesem Schritt, das spürte ich, die nächste Stufe meiner Zertrümmerung erreicht, ohne zu wissen, wie viele noch folgen würden.
Es war Sonntagabend. Normalerweise würde ich jetzt zu Hause auf dem Sofa liegen, ausruhen, Kaffee trinken und per Videomitschnitt die anderen Bundesligabegegnungen des Wochenendes analysieren. Hier gab es Blechkannen mit Hagebuttentee und ich war umgeben von Menschen, die in den unterschiedlichsten Stadien geistiger Verwirrung atypisches Verhalten zeigten. Mir sind Szenen im Gedächtnis wie im Film »Einer flog übers Kuckucksnest« – und hier sollte ich gesund werden? Bei der Einlieferung hatte ich alle Gegenstände abgeben müssen, die spitz, scharf oder geeignet waren, sich aufzuschneiden oder zu strangulieren. Die Patienten, die hier waren, galten als gefährdet, sich etwas antun zu wollen, oder auch als gewaltbereit.
Man wird in eine psychiatrische Klinik eingeliefert, um einen möglichen Heilungsprozess in Gang zu setzen. Tatsächlich wird man aber noch viel kränker, weil einen die Umgebung noch weiter runterzieht. So war es
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