Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
zumindest bei mir. Ich dachte drei Dinge. Erstens: »Ich bin doch nicht irre!« Zweitens: »Hier gehörst du nicht hin!« Drittens: »Holt mich hier raus!« Wie tief war ich abgestürzt, dass ich in einer Psychiatrie eingesperrt wurde? Ich bat die Ärzte, dass meine Frau bei mir bleiben dürfe, da ich sonst »durchdrehen« würde. Sie machten eine Ausnahme und brachten uns in einem Zimmer unter, das ein Fenster zum Aufenthaltsraum des Pflegepersonals hatte. So konnte uns jeder sehen und bei Bedarf sofort eingreifen. Meine Schwiegermutter hatte ein Zimmer in einem Hotel in der Nähe gebucht. Am Abend gab es Hagebuttentee und Essen, an das ich mich nicht erinnere – nur an das stumpfe Kinderbesteck aus buntem Plastik, das ich ungläubig anstarrte.
Auch hier fühlte ich mich schnell wieder verfolgt. Das Pflegepersonal erkannte mich oder war vorab informiert, kombinierte ich, denn sonst hätten mich nicht alle so ungläubig und betroffen von oben bis unten angeschaut. Ich fühlte mich erkannt und zur Schau gestellt wie ein Tier, was meine Scham vergrößerte. Wenn ich nicht diese vielen Medikamente zur Beruhigung bekommen hätte, hätte ich in diesem Moment für nichts garantieren können. Andererseits arbeitete mein Verstand noch so klar, dass ich wusste, es würde nur einen Weg nach draußen geben: nämlich den, einen möglichst vernünftigen Eindruck bei den Psychologen zu hinterlassen und nicht weiter aufzufallen. Ich durfte die Verdachtsmomente, die zu meinem Zwangsaufenthalt in dieser Psychiatrie geführt hatten, nicht auch noch bestätigen. Das Ziel war, immer Vernunft und Gelassenheit auszustrahlen, damit ich möglichst schnell diese Einrichtung wieder verlassen konnte. Ich war wieder voll in meiner Paraderolle, die ich schon die ganzen zurückliegenden Monate innerlich nicht mehr überzeugend ausgefüllt hatte – jetzt war ich auch noch krank, unter Beobachtung nach einem Suizidversuch, fühlte mich schwächer denn je und musste erneut den starken Mann spielen, um hier herauszukommen.
Und ich musste schnell weg, denn meine Irritationen nahmen zu. Beim Abendessen kam plötzlich ein Patient ohne anzuklopfen in mein Zimmer, der sonst nur apathisch auf dem Flurboden kauerte und mit seinem Kriegsspielzeug hantierte. Er forderte mich wie selbstverständlich auf, ich solle doch eine Partie Tischfußball mit ihm spielen. Ausgerechnet Tischfußball, ich, der gestern noch ein Bundesligaspiel gepfiffen hätte. Wie würden die Pfleger meinen Geisteszustand einschätzen, wenn ich einen Tag danach mit diesem Patienten kickern würde? Und was, wenn er verlieren würde? Überhaupt: Was wusste dieser Patient über mich? Hatte sich meine Identität jetzt auch unter den Patienten herumgesprochen? Reichte es nicht schon, dass mich das Pflegepersonal dauernd anstarrte? Ich war sehr erschöpft und die starken Tabletten trugen ihren Teil dazu bei, dass ich sehr müde wurde und in den Armen meiner Frau bald in einen oberflächlichen Schlaf versank.
Am nächsten Morgen hatte ich einen Vorstellungstermin bei einer Psychologin. Er dauerte über zwei Stunden. Sie musste mich nur anstupsen und alles brach aus mir heraus. Ich redete wie ein Wasserfall, ohne Sinn und Verstand, ohne größere Zusammenhänge. Ich fühlte mich in einen endlosen Film versetzt, in dem ich immer wieder all die verletzenden Worte über mich ergehen lassen musste, in dem ich die für mich entwürdigenden Situationen immer wieder durchlitt. Ich weinte die ganze Zeit und wir sprachen über meine sehr schwierige Zeit, all die daraus resultierenden Probleme. Es war so viel, dass ich kein Ende fand.
Schließlich setzte die Ärztin meinem schier endlosen Monolog ein Ende, indem sie eine starke Depression diagnostizierte. Ich realisierte erst gar nicht, dass ich damit gemeint war. Ich krank? Ich wollte es gar nicht wahrhaben und sah meine Probleme in einem ganz anderen Bereich, nämlich in den vielen Ungerechtigkeiten, die mir widerfahren waren, in den Zurücksetzungen und dem Infragestellen meiner ganzen Persönlichkeit, der permanenten Angst, dass andere in der Gesellschaft schlecht von mir denken würden. Das waren meine Kernprobleme, für die ich keine Lösung hatte. Die Psychologin ließ sich nicht abbringen. Ich sei schwer krank und würde die nächsten Tage zu meinem Schutz und zur ärztlichen Beobachtung in der Klinik bleiben müssen. Ich war unter Verschluss.
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In den ersten Stunden unserer Flucht waren wir völlig mit uns selbst und meinen
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