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Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition)

Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition)

Titel: Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rayk Wieland
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natürlich«, unterbrach ich sie zurück, »für die sie bestimmt waren.«
    Es folgte eine Gesprächsphase, die von einem durchaus sportiven Hin und Her charakterisiert war. Sie regte sich darüber auf, daß ich mich nicht aufregte. Die Stasi habe mich observiert, mein Privatleben ausspioniert, mich bestohlen, Maßnahmen eingeleitet, Leute auf mich angesetzt, mir Delikte untergeschoben, die ich gar nicht begangen hatte, mir Haft angedroht und meine Festnahme geplant. Wenn ich kein Opfer gewesen sein wolle, wer dann. Sicher, ich sei nicht an die Wand gestellt worden, das nicht. Aber das sei auch wirklich das Einzige, was auf der To-Do-Liste der Stasi gefehlt habe.
    Geheimdienste, hielt ich dagegen, übertrieben ja immer, überall auf der Welt, deshalb täten sie’s ja geheim. Die Stasi sei beim Übertreiben sicher übereifrig gewesen. Zwar stimme, wassie, Frau Schneider, sage, und es sei insgesamt auch sehr unerfreulich für mich gewesen, aber mitbekommen hätte ich nicht viel davon. Zur Verhaftung sei es nicht gekommen. Die Gedichte gäbe es ohne die Sammelwut der Stasi auch nicht mehr. Alles in allem sei sie eben kreativ vorgegangen und habe, vielleicht aus Mangel an anderen Angeboten, mich von einem harmlosen Spinner zum Staatsfeind befördert.
    »Sie wissen’s besser als ich«, sagte ich versöhnlich, »die ganze DDR-Opposition war nicht viel mehr als eine Erfindung der Stasi: Wolfgang Schnur, Ibrahim Böhme, Gregor Gysi, Lothar de Maizière, Manfred Stolpe, Heiner Müller, Sascha Anderson. Leute wie Gauck oder Merkel haben doch zur Wende nichts beigetragen, die waren doch völlig subaltern. Die hat nicht mal die Stasi erfinden können.«
    »Ich kann nicht glauben, daß Sie so denken.« In Frau Schneiders Telefonstimme hielten sich Entsetzen und Resignation die Waage. »Und die vielen, die im Gefängnis saßen? Die angezeigt wurden, weil sie die SED kritisiert hatten? Die entlassen wurden von den Universitäten? Die Bücher, die nicht erscheinen durften? Die Dichter, die das Land verlassen mußten? Die vielen, die es nicht verlassen konnten? Die an der Mauer erschossen wurden? Ist das auch nur – wie haben Sie sich ausgedrückt – ›weniger erfreulich‹? Oder wie nennen Sie das? ›Es war nicht die Schokoladenseite der DDR?‹ So vielleicht?«
    »Es lag mir auf der Zunge«, erwiderte ich. »Hören Sie, Sie haben ja recht – außer mit der Mauer. Die hat’s nun wirklich nicht gegeben.«
    Frau Schneider rang um Fassung. »Die Mauer … hat es … nicht gegeben«, wiederholte sie perplex.
    »Ja, diese Mauer, die die Stadt komplett geteilt haben soll. Manche sagen, sie sei durch Häuser gegangen, quer über Straßen, über Brücken, durch Wohnviertel, sogar durch Menschen. Und wenn man sie bittet, mal zu sagen, wo ihre berühmteMauer denn gewesen sein soll, irgend etwas müßte ja irgendwo zu sehen sein – dann zeigen sie auf ein völlig intaktes Haus, auf eine belebte Straßenkreuzung vorm Fenster oder mitten auf den Potsdamer Platz und sagen, da, genau da sei sie gewesen, war sie eben noch. Jetzt ist sie weg. Einfach absurd!«

10
    »OPK«, »O PERATIVE P ERSONENKONTROLL e« – keine Ahnung, was das ist. In der DDR wurde ja gern und ausdauernd kontrolliert. Wenn Länder Neurosen haben könnten, hätte die DDR chronischen Kontrollzwang. Zum Krankheitsbild, wie man weiß, gehören sorgfältige Verheimlichungstendenzen, da Zwänge auf Mitmenschen oft absurd und lächerlich wirken können. Zwangsneurotiker wissen auch um die Sinnlosigkeit ihrer Kontrollrituale. Und doch müssen sie wie ferngesteuert immer weitermachen.
    Die Papiere natürlich – »Ihren Personalausweis!«, »Die Ausweise bitte!«, »Was!?! Sie haben Ihre Personaldokumente nicht dabei??!?« –, sie waren das Lieblingskontrollding, klar. Bei der Armee ersetzt durch den »Wehrdienstausweis«, immer »am Mann« zu tragen inklusive einer Blechmarke mit der eingestanzten »PKZ«, der »Personenkennzahl«. Stets lief man mit dieser Blechmarke durch die Gegend, mitten im Frieden, als wäre jederzeit damit zu rechnen, daß neben einem Granaten einschlugen, Brandsätze explodierten und man sich augenblicks in einen herrenlosen Rest verkohlter Knochen verwandelte, der nur dank dieses hitzebeständigen Metallstücks und der darauf eingeprägten Kennzahl identifiziert werden konnte.
    Es wurde kontrolliert, ob man bei den Pionieren war, in der FDJ, im DSF, FDGB und in der Partei und, wichtig, ob man den Ausweis der jeweiligen Organisation hatte, bei dem

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