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Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition)

Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition)

Titel: Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rayk Wieland
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zusammen.«
    Sie küßte mich. Und dann rechneten wir nach.
    »Eine Sekunde in der Minute macht eine Minute in der Stunde …, macht 24 Minuten am Tag …, 24 mal 30, das sind, Moment, 720 Minuten im Monat …, geteilt durch 60, macht zwölf.«
    »Zwölf Stunden im Monat!« rief ich aus, »die wir geschenkt bekommen!« Ich konnte unser Glück kaum fassen. Wir schauten uns an und wußten, wir können die Zeit besiegen.
    Das war sie, die Geburtsstunde der »Gruppe 61«.
    Man sollte ihr ein Denkmal setzen. Vielleicht ist hinterm Adlon noch Platz.
    Immer wenn ich in Briefen an Liane schrieb, erinnerte ich uns daran: »Die ›Gruppe 61‹ tagt hier wieder …«, »›Gruppe 61‹ bereitet neue Aktionen vor …« oder »ich denke die ganze Zeit an die ›Gruppe 61‹ und was für Möglichkeiten sie für uns eröffnet«. Und das bedeutete immer nur und immer wieder, daß ich mir wünschte, mehr Zeit mit ihr verbringen zu können.Es ist vielleicht, um hier mal, wenn auch völlig unpassend, mit Nietzsche zu sprechen, fast menschlich, allzumenschlich, wenn die Stasi, Staatsverbrechen auf der Spur, am Gespenst, das in meinen Briefen umgeht, dem Gespenst »Gruppe 61«, schier verzagt. Sie kriegt diese »oppositionelle Gruppe« und ihre »Untergrundaktivitäten« einfach nicht zu fassen, auch nicht mit Hilfe einer »Soforteinsatzgruppe« und Unterstützung von »Sofortbeobachtungskräften«.
    Einsatz- und Maßnahmepläne, Zielstellungen zur operativen Bearbeitung, weitere operative Maßnahmen werden beschlossen, alles wird getan und versucht, um der »Gruppe 61« irgendwie habhaft zu werden. Von 1983 bis zum Ende, 1989, sechs Jahre lang wird nach der Gruppe gefahndet. Vergebens. Aller Aktionismus, haarklein in den Aktennotizen dokumentiert, zielt ins Nichts und kann demzufolge auch nirgendwo anders landen als ebendort.
    »Aufklärung des Umgangs- und Verbindungskreises des W., insbesondere des Charakters seiner Verbindungen zur einschlägig bekannten ›Gruppe 61‹ .« – »Aufklärung und Verhinderung der Pläne und Absichten der ›Gruppe 61‹ in bezug auf das Verfassen und Verbreiten von Texten, die geeignet sind, die staatliche und gesellschaftliche Ordnung herabzuwürdigen.« – »Verunglimpfung Maßnahmen zum Schutz unserer Staatsgrenze durch ›Gruppe 61‹ «. – »Umfassende Aufklärung der Persönlichkeit des W., vor allem hinsichtlich seiner politischen Grundhaltung, seiner persönlichen Ziele und seiner Zugehörigkeit zur ›Gruppe 61‹ .«
    Zahllose IM-Berichte sind den geheimen Aktivitäten der Gruppe gewidmet, immer wieder wird versucht, Unterlagen und Informationen zu beschaffen. Besucher in meiner Wohnung nutzen die kurzen Momente, wenn ich das Zimmer verlasse, um Papiere zu sichten und abzugreifen. Gehe ich mal aufs Klo, fertigen sie Abschriften an und stecken Zettel ein. Hole ichKaffee oder eine Flasche Wein aus der Küche, blättern sie scheinbar verzückt in Mappen, die auf dem Schreibtisch liegen.
    IM »Spieler« berichtet: »Am 22.04.83 besuchte ich den W. in seiner Wohnung. Ich hatte den Auftrag, an Gedichte und an Informationen zur 61er Gruppe ranzukommen, das mir auch zum Teil gelang. Beim Stühleholen schrieb ich ein paar Blätter ab, ohne daß es bemerkt wurde. Auf meine Frage zur Gruppe 61, von der ich gehört hätte, erzählte mir W., daß sie für ihn zur Zeit das Wichtigste ist, das er macht. Ich fragte auch, wann er sich treffen wird, und er sagte, dies sei ein Problem, da man sich nicht jederzeit treffen kann.«
    In seiner »operativen Wertung der Berichterstattung zur Feststellung (Umstände der Erarbeitung / wie in Besitz d. Info.), Vollständigkeit (8w), Überprüfbarkeit« notiert Oberleutnant Schnatz: »Berichterstattung des IM kann als objektiv eingeschätzt werden. Maßnahmen: weiterer Einsatz des IM. Auftrag und Verhaltenslinie: durch Besuche des W. Vertrauensverhältnis festigen, Hinweise auf Aktivitäten d. Gruppe 61 feststellen, offensiv Wunsch nach Teilnahme an Treffen bekunden.«
    IM »Max« gibt zu Protokoll: »Ich traf W. im Café Mosaik und erkundigte mich nach seinen Plänen. Er erzählte, daß er zur Zeit verliebt ist und demnächst seine Freundin treffen wird, die ihn aus dem NSW besucht. Die Gruppe 61 wäre jetzt enorm wichtig für ihn. Auf meine Frage, wer alles in der Gruppe 61 ist und was er über die nächsten Vorhaben weiß, antwortete er ausweichend, daß sie eine Privatangelegenheit ist. Er sagte, es handelt sich um eine fundamentale Aktion, und wenn die Gruppe

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