Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition)
unser Mann von drüben!« – » Ich sage nur: vierzig Jahre Durst.« – »Auferstanden aus Ruinen und den Flaschen zugewandt.«
Liane, ich sah es genau, wurde ein bißchen rot, nur ein wenig, vielleicht gar nicht. Vielleicht fuhr draußen am Fenster gerade ein Auto vorbei und bremste, so daß die Bremsleuchten, die ins Zimmer strahlten, ihrem Gesicht einen rötlichen Teint verpaßten.
Ich reichte ihr das Sektglas und stieß mit einer von drei Flaschen Bier an. Dann schlenderte ich unschlüssig durch Räume und Nebenräume, mischte mich in die Gespräche, trank vom Weißwein, kostete vom Roten und fühlte mich immer wohler.
»… und wenn man bedenkt, wie lange die chinesische Mauer hielt, ist man doch etwas enttäuscht von diesem Berliner Remake«, sagte gerade wer? Vince, der Godot-Macher, umgeben von einem Kreis von Kichernden und Nickenden.
»Kein Wunder«, vernahm ich meine Stimme. »Die chinesische Mauer war schließlich gegen Feinde im Osten gerichtet. Das ist einfach. Eigentlich braucht man da gar keine Mauer. Die in Berlin stand aber Richtung Westen. Und das ist die Wetterseite. Die wird extrem beansprucht. Die verwittert dir bei strengster Bewachung unter den Händen weg. Das weiß jeder Architekturstudent im ersten Jahr.«
Ich hatte die Lacher auf meiner Seite. Nur, wo war Liane? Immer mehr Partygäste wuselten durch die Zimmer. Ich entzündete eine Cigarre und überlegte kurz, ob eine derartige Ansammlung in der DDR anders ausgesehen, anders gewesen wäre, und ich war mir sicher, daß es so war, und wußte gleichzeitig, daß es nicht stimmte.
»… wollte wirklich nur einen Kontoauszug. Aber ich kam überhaupt nicht rein in die Bank. Überall dieser Begrüßungsgeld-Auflauf. Dagegen ist man ja so was von machtlos.«
Das war, wenn ich richtig lag, Claudia.
»Dieses Begrüßungsgeld«, sagte ich und kippte unaufgefordert etwas Weißwein in ihr Rotweinglas, »ist eine Riesenschweinerei.«
»Ach, ja? Auch noch undankbar«, sagte sie pikiert.
»Claudia«, beschwor ich sie, »Begrüßungsgeld! Massenhaft Leute bestechen, die man noch nie gesehen hat. Ein Staat, der das macht, der hat ja überhaupt keine Argumente mehr, die für ihn sprechen. Die BRD ist einfach am Ende.«
Claudia sah mich an und betrachtete die Rot- und Weißweinbrühe in ihrem Glas, die ich angerichtet hatte. Aus den Boxen der HiFi-Anlage erklang der Marschbefehl der Puhdys: »Geh zu ihr und laß deinen Drachen steigen!« Ich mischte etwas Rum mitetwas Gin, und auf die besorgte Frage, was das sei, was ich da trinke, antwortete ich: »Staatlich Fachingen.«
Auf der Suche nach Liane geriet ich dann in der Küche etwas unglücklich in einen handfesten Sauerkrautstreit. Spaß oder nicht – zwei Frauen, von denen ich bis heute nicht weiß, wer sie waren und ob ihr Duell Teil eines Godot-Anschluß-Programms war oder Ausdruck emotionaler Kapriolen, bewarfen sich kreischend mit Sauerkrautbatzen, als ich hinzutrat und prompt am Hals getroffen wurde.
»Godot, da bist du ja endlich!« rief die eine. Ich packte kurz entschlossen die Flasche mit Worcestersoße und verpaßte mir ein paar kräftige Spritzer auf die Stirn. Dann erhob ich mein Wasserglas und hielt eine kleine Ansprache: »Godot hat lange auf sich warten lassen. Zu lange vielleicht. Aber er konnte nicht früher kommen. Mauer und Stacheldraht versperrten ihm den Weg. Jetzt ist er da. Erheben wir unser Glas, denn wir wissen: Es ist nicht das weiche Wasser, das den Stein besiegt, sondern das harte.« Ich stand stark im Wind, den der Deckenventilator machte. »Hoch die Zukunft«, sagte ich, »nieder die Zugluft! Der Kapitalismus hat gesiegt. Keine Frage. Aber auch keine Antwort. Sondern wahrscheinlich Sauerkraut.« Bei diesen Worten griff ich in die Sauerkrautschüssel und schleuderte zwei Handvoll hinauf zum wild rotierenden Ungetüm über meinem Kopf.
Augenblicklich verwandelte sich die Küche in ein Sauerkraut-Tohuwabohu. Alle schrien und warfen mit Dingen, die gerade zur Hand waren. Spreewaldgurken flogen durch die Luft. Fontänen aus geschüttelten Club-Cola-Flaschen spritzten durch die Gegend. Eine Hand beschmierte mein Gesicht mit Senf. Am Ende lagen vier oder fünf Leute erschöpft, versaut und prustend auf dem Fußboden, und ich löffelte Heringsreste aus dem Tomatenschleim einer Fischdose. Aber was war das? Ich spürte einen Gegenstand zwischen den Zähnen. Ich zog ihn hervor und hielt ihn ins Licht.
Zwischen meinen Fingern, wie nicht anders zu erwarten, blinkte ein wenn
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