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Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition)

Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition)

Titel: Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rayk Wieland
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/ Und sprach’s und schiffte schnell sich ein.‹«
    Sie nickte mir aufmunternd zu.
    Ich versuchte, meiner Stimme so viel Tragik, wie ich hatte, zu verleihen: »Ich habe keinen Ring. Nicht mal einen Schlüsselring. Der ist vor ein paar Tagen aus dem Fenster geflogen.«
    Die Schaumgeborene erhob sich. »So?« fragte sie und beugte sich zu mir, daß ich nicht wußte, ob ich die Augen auf jeden Fall und um jeden Preis geöffnet lassen oder vielleicht nicht doch schließen sollte.
    Sie küßte mich, ich öffnete die Augen.
    Sie legte sich sanft auf mich, und ich schloß sie sicherheitshalber wieder.
    Dann flüsterte sie mir ins Ohr: »Dein Ring, Geliebter, das bin ich. Und wie du sehen könntest, wenn du die Augen aufmachst …«
    »… was würde ich sehen? Sag du es …«
    »… bin ich schon im Wasser.«

    Am siebten Tag waren die letzten Reste und Gummibärchen-Reserven endgültig aufgebraucht, und wir mußten hinaus. Pizzadienste und Lieferservice gab’s in der DDR nicht, in weiten Teilen ja auch kein Telefon, mit dem man, wenn’s die gegeben hätte, hätte was bestellen können. Womöglich hätte man in der DDR zunächst einen »Antrag auf Genehmigung einer Bestellung im Bereich personenbezogene Grundnahrungsmittel« abgeben müssen, um dann drei Monate auf den Bescheid über »Zuteilung der Bestellungsanmeldung« zu warten. Klar wäre gewesen, daß man sich dabei das, was man bestellen wollte, nicht aussuchen konnte. Die staatlichen Organe würden den angemessenen individuellen Bedarf festlegen und die Zuteilung entsprechend den gesellschaftlichen Bedürfnissen vornehmen. Das Menü war eh überall das gleiche, in jedem Laden, in jeder Gaststätte, in jeder Clubgaststätte, in jedem Restaurant. Die DDR, zumindest was das öffentliche Angebot betraf, hatte die liebloseste und auf gespenstische Weise geradezu amusischste Küche der Welt, einen ewig gleichen, starren und obskuren Mix aus Gerichten, bei denen man den Eindruck hatte, ihnen lägen Rezepte zugrunde, die ein Legastheniker aus den Resten eines Kochbuchs für Bauernfänger abgeschrieben hat. Es gab stets und immer und immer wieder nur, wenn’s das gab und wenn man – »Achtung! Sie werden plaziert« – einen Tisch zugewiesen bekam: Ochsenschwanzsuppe, Schwalbennest, Strammer Max,Würzfleisch, Kraftbrühe mit Eierstich, Falscher Hase, Steak Letscho, Königsberger Klopse, Szegediner Gulasch, Schweinebraten, Schweinerückensteak, Rumpsteak mit Kräuterbutter – plus minus drei, vier Gerichte, die ich glücklicherweise für immer vergessen habe.
    Jedenfalls mit Stasichef Erich Mielke als Franchise-Nehmer vom operativen Broiler-Expreß und Oberleutnant Schnatz als IM »Bringdienst« – die DDR wäre wohl nicht kollabiert. Oder, man weiß es nicht und will’s nicht wissen, erst recht.

    Wie zwei Heimkinder, die zum ersten Mal auf die Straße dürfen, tasteten wir uns vor in die Wirklichkeit. Liane plante, ich konnte es kaum glauben, den ganzen November zu bleiben. Sie hatte ausgerechnet, daß in den fünf Jahren seit Gründung der »Gruppe 61« 720 Stunden zusammen gekommen waren – das wären 30 Tage, die sie jetzt mit mir verbringen wollte.
    Unter Umständen, gab ich zu bedenken, und nach einer Mindestmitgliedschaft von fünf Jahren, so sei es in den Statuten der »Gruppe 61« vorgesehen, könne man sich Zeit auch aus der Zukunft leihen, welche die Gruppe dann später wieder rausholen würde.
    Wenn das so sei, sagte sie, dann könne man ja gleich zusammenbleiben.
    Ja, zunächst mal das ganze Leben, sagte ich. Zum Ausprobieren. Danach würde man weitersehen.
    Wir hatten einen Riesenhunger. Sie bestand darauf, hier im Osten zu bleiben. Ich lehnte das kategorisch ab. Also aßen wir zweimal. Unten im Palast der Republik an der Spree, wo wir keinen Menschen trafen: Schweinenackensteak. Dann begaben wir uns auf die andere Seite der Stadt, durch ein chaotisches Grenzgewimmel am Übergang Oberbaumbrücke. Niemand schien mehr zu wissen, wer was brauchte und vorzeigen mußte. Im schwirrenden und flirrenden »Schwarzen Café« in derKantstraße angekommen, bestellten wir: einen großen Salat, der aus Salat und Salatsoße bestand.
    Ich war verliebt, und ich war fertig wie nie zuvor, und ich war sprachlos und ermattet vor Glück.
    Am Abend gingen wir zur Party einer Freundin von Liane in Schöneberg. Liane hatte erst bedenklich abergläubische Bedenken – es war der siebte Tag, die Hausnummer sieben, sieben Stationen mit der U-Bahn und 19 Uhr – und düstere

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