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Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition)

Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition)

Titel: Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rayk Wieland
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herausschnitt und in seine Sammlung »Mögliche Exekution des Konjunktivs«, wie heißt es?, einpflegte.
    D U UND ICH UND ICH UND DU
    L eider ist das ganze Leben
    I n bezug auf sein Motiv,
    A ls da wäre: Einen heben,
    N asebohren, sozusagen,
    E her kontraproduktiv.
    S erien von langen Tagen

    L iegen vor und hinter mir.
    I ch will dich – nicht nur vermissen.
    E s gibt dich – und sonst Gespenster.
    B itte, Liebster, schließ die Tür
    E infach ab, und zwar von innen,
    S chmeiß den Schlüssel aus dem Fenster!

    L aß uns tun, was wir tun müssen.
    I ch und du, wir bleiben drinnen.
    E in paar Jahre schwänzen wir,
    D u und ich, um uns zu küssen.
    Tatsächlich verließen wir sieben Tage die Wohnung nicht – sieben Tage, die die Welt nicht erschütterten, wohl aber meine annihilierte Lethargie. Liane und ich, wir hatten einiges nachzuholen, und wir taten es, und wie wir es taten, genau so mußten wir es tun. Wäre ich ein unterdrückter unbekannter Untergrunddichter, ich würde es Rausch nennen, Taumel der Sinne, Ekstase. Als Teilnehmer in einem Workshop »Kreatives Schreiben emotionaler Körper-Seele-Geist-Innen-Außen-Perspektiven«, sagen wir gesponsort von »Staatl. Fachingen«, würde ich es so zu formulieren versuchen: Man nehme einen Zug, der mit rasender Geschwindigkeit über die in einem eisigen Winterfrost ans Gleisbett gefesselten Schienen hinwegbraust, derenSchwellen derart vibrieren, daß sie beinahe für immer aus ihrer Verankerung geschleudert zu werden drohen, in die Höhe, in den Himmel, in den Weltraum, wäre da nicht der stählerne, vermutlich tief bis zum Erdmittelpunkt reichende Befestigungspflock, der sie hält und zugleich sensibel mitschwingt, den Takt der Waggons aufnehmend und zugleich unmißverständlich entgegenarbeitend, und in diesem Zug steht vorn, beim Zugführer, ein Glas, und in diesem Glas befindet sich »Staatl. Fachingen«, und während der Zug immer weiter nach vorn fliegt und alle Wände und Instrumente ächzen, sich biegen und spannen, steht dieses Glas ganz ruhig da, und die Oberfläche des Wassers ist ein glatter Spiegel, auf der sich nur gelegentlich ein Wellenkräuseln zeigt, eine unmerkliche Bewegung, die daher rührt, daß sich das Glas, wie man erst jetzt sieht, langsam bewegt, es wandert zur Seite, nach vorn, wieder zurück, immer weiter, bis es von einer haarigen Hand gepackt, nach oben gerissen und, bis auf den letzten Tropfen völlig geleert, wieder zurückgestellt wird.
    Wir sprachen nicht viel, denn wir verstanden uns so – außer in der Badewanne, die der Ort der Badewannen-Dialoge war.
    »Ich wußte, daß du nicht kommen würdest«, flüsterte sie. »Als ich die ersten Trabis in München sah, wußte ich, daß du nicht da bist. Aber warum, das wußte ich nicht.«
    »Ich war ja so oft in Gedanken da«, sagte ich. »Immer wieder in diesem München – ich glaube, ich brauchte einfach mal eine Pause.«
    Sie kniff die Augen zusammen und schaute mich an. »So sieht es aus, wenn du die Augen zusammenkneifst.«
    »Ich bin auch sauer auf den jungen Alain Delon«, antwortete ich, »daß er den Blick, ohne ein Wort zu sagen, von mir übernommen hat.«
    Sie saß mir gegenüber am anderen Wannenende. Ich sah nur ihren Kopf, ihren Hals – was heißt nur? Unter dem Wasser spürte ich die schon vertraute weiche Haut an meiner Haut, undzwischen uns knisterte der Schaum, ein Miniatur-Wolkengebirge, über das unsere Blicke zueinander flogen.
    »Du?« flüsterte ich.
    »Hm?«
    »Daß du hier bist, das ist hochgefährlich.«
    »Das sollte es auch sein.«
    »Du kennst Schillers ›Ring des Polykrates‹? Wo ein von Glück verfolgter König sein Kostbarstes, einen Ring, ins Wasser, ins Meer wirft, um die Erinnyen, die Rachegöttinnen, zu besänftigen?«
    »Wußte gar nicht, daß Schiller Badewannen-Balladen geschrieben hat.«
    »Das wußte Schiller auch nicht. Also, der König hat einen Gast bei sich, einen anderen König, der die ganze Zeit nicht müde wird, seinen Gastgeber vor dem unfaßbaren Glück, das er hat, und vor der Rache der Götter zu warnen. Um die zu besänftigen, wirft er seinen Ring ins Meer. Am nächsten Tag entdeckt ihn, glaube ich, der Koch beim Zerlegen eines Fisches und bringt ihn zurück. Den Ring. Ganz brav. Zum König. Und der Gast, als er das sieht, wendet sich, wie Schiller schreibt: ›mit Grausen‹.«
    »Und was passiert dann?«
    »Nichts.«
    »Das ist nicht viel.«
    »›Die Götter wollen dein Verderben; / Fort eil’ ich, nicht mit dir zu sterben.

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