Ich schreib dir morgen wieder
Aber so sollte es doch nicht sein! Mein Dad sollte ewig leben. Mich beschützen. Meine Freunde prüfend in Augenschein nehmen und mich irgendwann zum Altar führen. Er sollte Mum sanft überreden, wenn ich meinen Willen nicht bekam, er sollte mir zuzwinkern, wenn unsere Blicke sich trafen. Für den Rest meines Lebens sollte er mich voller Stolz anschauen. Und wenn er alt würde, dann sollte ich ihn beschützen, für ihn da sein, ihm alles zurückzahlen, was er für mich getan hatte.
Es war meine Schuld. Es war alles meine Schuld. Ich hatte versucht, ihn zu retten, aber ich hatte nicht gewusst, wie ich es anstellen sollte. Wenn ich es doch nur gelernt hätte, wenn ich in der Schule aufgepasst und mich bemüht hätte, ein einfühlsamer, ein besserer Mensch zu werden, vielleicht hätte ich ihm dann helfen können. Stattdessen kreisten meine Gedanken immer nur um mich selbst. Sicher, alle sagten mir, ich hätte nichts mehr für ihn tun können, es wäre zu spät gewesen, aber man weiß doch nie. Ich bin seine Tochter – vielleicht hätte ihm das geholfen.
Das Zimmer – sein Zimmer –, das immer nach ihm gerochen hatte. Nach seinem Aftershave, seinen Zigarren. Nach Wein und Brandy, nach Büchern und Holz. Das Zimmer, in dem er sich das Leben genommen hatte, der Teppich mit dem Fleck, wo ich mich am Abend nach seiner Beerdigung übergeben hatte. Ich konnte da nicht hineingehen.
Auf einmal hörte ich Dosen klappern, eine Plastiktüte raschelte, und ich drehte mich schnell um. Da stand Marcus und sah mich erwartungsvoll an.
»Hübsches Haus.«
»Danke.«
»Alles klar bei dir?«
Ich nickte.
»Ist bestimmt komisch, wieder hier zu sein, oder nicht?«
Ich nickte wieder.
»Du bist heute nicht besonders redselig.«
»Ich hab dich auch nicht zum Reden mitgenommen.«
Unsere Blicke trafen sich, und ich sah in seinem Gesicht, dass er das Gleiche dachte wie ich.
Sag es ihm. Sag es ihm.
»Komm mit, ich zeige dir das schönste Zimmer im ganzen Haus«, schlug ich stattdessen lächelnd vor, nahm seine Hand und führte ihn nach oben.
In meinem Zimmer legte ich mich auf den Boden, mitten auf den weichen Plüschteppich, auf dem einmal mein großes Bett mit dem weißledernen Kopfende gestanden hatte. Mir war schwindlig vom Alkohol und auch von den Ereignissen des Tages. Ich wollte nur noch vergessen – Schwester Ignatius, Weseley, Rosaleen, Dr. Gedad, die geheimnisvolle alte Frau im Haus von Rosaleens Mutter, einfach alles. Ich wollte auch meine Mutter vergessen, ihren kraftlosen, zerbrechlichen Körper und wie ich vergeblich versucht hatte, sie aus dem Bett zu zerren. Ich wollte Kilsaney vergessen und alle seine Einwohner. Ich wollte vergessen, dass wir aus diesem Haus vertrieben worden waren und dass Dad sich umgebracht hatte. Ich wollte die Zeit zurückdrehen zu der Nacht, bevor ich vom Balkon geklettert war und den furchtbaren Krach mit ihm gehabt hatte. Ich wollte, dass alles anders wurde.
Und dann änderte sich alles.
Alles.
Und wenn ich es irgendwann geschafft hatte, die Dominosteine aufrecht hinzustellen, dann begannen sie jetzt alle wieder umzustürzen.
Kapitel 18
Ruhe in Frieden
Vor zwei Jahren hätten wir für unser Haus in Killiney den stolzen Preis von acht Millionen Euro bekommen, aber nun stand es für die Hälfte der Summe zum Verkauf. Ich wusste, wie viel es wert war, weil Dad es regelmäßig hatte schätzen lassen. Jedes Mal, wenn die neuen Werte da waren, holte er eine Sechshundert-Euro-Flasche Château Latour aus dem Weinkeller seines Acht-Millionen-Euro-Hauses, um sie mit seiner Bilderbuchfrau und seiner hormonell total übersteuerten Tochter zu teilen.
Ich missgönne Dad seinen Reichtum keineswegs. So bin ich nicht, und zwar nicht nur, weil zwangsläufig auch Mum und ich von seinem Erfolg profitierten – wir mussten ja auch seinen Misserfolg ausbaden –, sondern weil er hart arbeitete, frühmorgens, spätabends, am Wochenende. Sein Beruf lag ihm am Herzen, und er spendete regelmäßig für wohltätige Zwecke. Ob er das im Smoking tat, vor zuckenden Blitzlichtern oder mit hochgereckter Hand bei einer Tombola, das war völlig irrelevant. Er schenkte Menschen, die es brauchen konnten, etwas von seinem Geld, und darauf kam es an. Was gab es daran auszusetzen, dass er ein teures Haus besaß? Man hat doch allen Grund, stolz zu sein, wenn man hart arbeitet und im Leben etwas erreicht. Doch mit jedem neuen Triumph hätte nicht nur sein männlicher Stolz wachsen sollen, sondern auch sein Herz. Der
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