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Ich schreib dir morgen wieder

Titel: Ich schreib dir morgen wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecilia Ahern
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immer noch zu jung für ihn. Mir ist nicht ganz klar, was genau ich mir dabei dachte – ob ich überhaupt in der Lage war zu denken. Ich fühlte mich wie betäubt, hätte mich aber gern noch betäubter gefühlt, denn genau genommen wollte ich gar nichts mehr fühlen – nichts fühlen und nichts denken. Mein Leben war so außer Kontrolle, dass ich auch die Kontrolle über mich selbst verlieren wollte. Wenigstens für eine Weile.
    Wir waren nur eine Stunde von Killiney entfernt. Eine Stunde ist nicht viel, aber für mich waren es Lichtjahre. Ich war aus meinem Zuhause gerissen worden, aus meinem vertrauten Nest, und hatte das Gefühl, dass meine ganze Identität dabei auf der Strecke geblieben war. Ich glaube, die meisten Leute wissen nicht, wie es ist, wenn man seine Heimat verliert. Klar, viele Menschen haben schon mal Heimweh gehabt oder sind umgezogen oder vermissen eine bestimmte Gegend. Aber wir waren gezwungen worden. Eine Bank, ein unpersönliches Finanzinstitut, das rein gar nichts mit Wärme, Erinnerungen oder Familie zu tun hat, war meinem Vater auf den Fersen gewesen und hatte ihm so zugesetzt, dass er sich das Leben genommen hatte. Damit nicht genug – danach hatte man uns auch noch die dort gewachsenen Erinnerungen, unsere Orientierung, den Grundstein unserer Familie weggenommen. Wir wurden aus unserer Lebenswelt gerissen und mussten bei Verwandten Zuflucht suchen, mit denen wir kaum etwas zu tun hatten, während unser Haus riesig und leer zurückblieb, das
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-Schild an die Grundstücksmauer genagelt wie ein in die Höhe gereckter, höhnische Mittelfinger. Wir konnten es nur noch von außen anschauen, wie Fremde, eine Rückkehr war unmöglich.
    »Hast du noch die Schlüssel?«, fragte Marcus, als wir uns auf den kurvigen Straßen der Gegend näherten.
    Ich nickte. Schon wieder eine Lüge.
    »Hey, nicht so schnell, Tamara«, sagte er, als er sah, dass ich schon die dritte Dose Bier kippte. »Lass mir auch was übrig«, fügte er lachend hinzu.
    Ich trank die Dose leer und rülpste laut als Antwort.
    »Sexy!«, lachte er und konzentrierte sich wieder auf die Straße.
    Wenn man mich jetzt fragt, kann ich ehrlich zugeben, dass dies der erste Moment war, an dem ich bewusst einen Entschluss fasste. Natürlich könnte ich Marcus die Schuld dafür geben und behaupten, dass er mir die Idee in den Kopf gesetzt hat, aber in Wirklichkeit war ich es. Vielleicht wusste ich es von der Sekunde an, als ich auf die Straße rannte und er mich in die Arme nahm – vielleicht wusste ich da tatsächlich schon, dass wir in unserem Haus und dann auf dem Boden meines Zimmers landen würden. Vielleicht hatte ich es schon von dem Tag an geplant, als ich Marcus zum ersten Mal begegnet war. Vielleicht hatte ich die ganze Geschichte weit mehr unter Kontrolle, als ich dachte. Andererseits könnte mich auch das dritte Bier in meinem ohnehin schon aufgewühlten Zustand endgültig aus dem Gleichgewicht gebracht haben. Jedenfalls zeigte ich Marcus im Vorbeifahren alle möglichen Orte, erzählte ihm von den Leuten, die hier wohnten, und es war mir vollkommen egal, ob er antwortete oder nicht. Ich hielt einfach einen Vortrag, nur für mich, und meine Stimme schien von irgendwo anders herzukommen. Ich fühlte mich nicht wie ich. Es kümmerte mich auch nicht mehr, wer ich eigentlich war, ich hatte es aufgegeben, so zu tun, als wäre ich der Mensch, der ich sein wollte: so wie Zoey und Laura, so wie alle anderen in unserem Bekanntenkreis. Ich glaubte nicht mehr an die Illusion, dass man, wenn man so war wie alle anderen, mit dem Leben besser zurechtkommen konnte. Es funktionierte doch ganz offensichtlich nicht. Nicht bei Laura, nicht bei Zoey und bei mir schon gar nicht.
    Vor meinem früheren Zuhause hielten wir an. Ich sagte Marcus, er sollte den Bus um die Ecke fahren und dort parken, denn wir wollten ja nicht, dass irgendein Nachbar auf die Idee kam, sich ein Buch ausleihen zu wollen. Von der Straße aus sah man das Haus selbst nicht, sondern nur das große schwarze Tor mit den Kameras auf der meterdicken Mauer – eine Anlage, die garantiert jeden Einbrecher entmutigte. Dad hatte viel Zeit und Mühe in diese Konstruktion gesteckt, hatte immer wieder Pläne gezeichnet, mich und Mum nach unserer Meinung gefragt und uns das Ganze, als es fertig war, schließlich mit stolzgeschwellter Brust gezeigt. Als wir dann durch das Tor marschierten und er wissen wollte, was ich davon hielt, hatte ich ihm geantwortet, dass es mir

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