Ich schreib dir morgen wieder
wehte die Julihitze weg und trug den Geruch von Tang und Salz mit sich. Ich schaute über den Strand, nahm den Anblick in mich auf und erinnerte mich an meine sechzehn Sommer mit Mum und Dad, an die nächtlichen Treffen mit meinen Freunden. Ich weiß nicht, wie lange ich so dastand und die imaginäre Familie beobachtete, die ihre Namen in den Sand gekritzelt hatten, und das kleine Mädchen, das seinen Dad einbuddelte, bis nur noch sein Kopf zu sehen war. Da fiel mir plötzlich Marcus wieder ein, der am Tor auf mich wartete.
Als ich die Balkontür öffnete, ging die Alarmanlage los. Ich rannte hinein und hoffte, dass der Code nicht geändert worden war – wer würde denn schon auf die absurde Idee kommen, in ein Haus einzubrechen, das ihm einmal gehört hatte?
Der Code war der gleiche, doch meine Finger zitterten so, dass ich zwei Versuche brauchte, bis die Anlage endlich schwieg. Ich musste ein paarmal tief Luft holen, aber als meine Ohren sich wieder einigermaßen normal anfühlten, drückte ich auf den Toröffner. Dann ging ich nach unten und machte die Haustür auf. Während ich auf Marcus wartete, wanderte ich ein bisschen im Haus herum und strich mit den Fingern über die verbliebenen Einrichtungsgegenstände. Manches war ein bisschen staubig. Irgendwann hörte ich dann Marcus’ Schritte in der Eingangshalle; er stieß einen beeindruckten Pfiff aus.
Aber ich achtete nicht auf ihn, sondern schlenderte in die Küche, wo ich meine Familie am Tisch sitzen sah, eilige Frühstücke am Tresen, üppige Weihnachtsdinner im Essbereich gleich nebenan, geräuschvolle Partys, Geburtstage, Silvesterfeten. Ich erinnerte mich an Auseinandersetzungen, zwischen Mum und Dad, zwischen Dad und mir. Ich erinnerte mich, wie wir getanzt hatten. Dad und ich, bei einer Party, und alle schauten zu. Ich erinnerte mich an Dads Partyanekdote, eine ausufernd lange Geschichte, die ich nie richtig verstand, aber schrecklich gerne hörte. Wenn Dad sie erzählte, lebte er richtig auf. Er genoss es, im Scheinwerferlicht zu stehen, in der Gesellschaft der Menschen, denen er vertraute. Mit vom Alkohol geröteten Wangen, die blauen Augen leicht benebelt, war er dennoch der perfekte, selbstbewusste Unterhalter, der seiner eigenen Pointe und dem Gelächter seines Publikums entgegenfieberte. Ich sah Mums Freundinnen beieinandersitzen und plaudern, elegante Frauen mit teuren Schuhen, schmalen Fesseln, gebräunter Haut und gesträhntem Haar.
Als ich mich abwandte, sah ich Dad durch die Korridore wandern, sah ihn mir zuzwinkern, während er mit seiner Zigarre in das einzige Zimmer ging, in dem Mum ihm das Rauchen erlaubte. Ich folgte ihm, beobachtete, wie er seine Freunde begrüßte und unter ihrem Beifall seinen besten Brandy öffnete, bevor die Männer sich zu einem Schwätzchen hinsetzten oder eine Partie Snooker begannen. Ich ließ meinen Blick über die Wände schweifen und erinnerte mich an die Fotos, die dort früher gehangen hatten. Dads Auszeichnungen und Diplome, seine Sportpokale, seine Familienfotos. Ein Bild von mir mit verheulten Augen an meinem ersten Schultag, ich auf Dads Schulter in Disney World, mit Rattenschwänzchen, einem Mickymaus-T-Shirt und einem albernen Grinsen, das meine Zahnlücke zur Geltung brachte. Dann betrat ich das nächste Zimmer. Dad und seine Freunde auf dem Skihang in Aspen. Ein Foto von Dad beim Golfspielen mit Padraig Harrington bei irgendeiner Wohltätigkeitsveranstaltung.
Weiter ging’s ins Fernsehzimmer, wo ich Dad in seinem Lieblingssessel sitzen sah, Mum in der anderen Ecke, mit angezogenen Beinen, die Arme schützend um die Knie geschlungen, und sie lachten beide über eine Comedy-Show. Wieder warf Dad mir einen Blick zu, zwinkerte, stand auf, und gemeinsam durchquerten wir die Eingangshalle, an Marcus vorbei, der mich verwundert anstarrte, aber dann verschwand Dad durch die geschlossene Bürotür. Dorthin konnte ich ihm nicht folgen.
Der Streit. Dieser furchtbare Streit, den wir kurz vor seinem Tod gehabt hatten. Ich hatte die Tür zugeknallt und war wütend die Treppe hinaufgestürmt. Dabei hätte ich ihm sagen müssen, dass ich ihn liebte. Ich hätte mich entschuldigen und ihn in den Arm nehmen müssen.
»Ich will dich nie wiedersehen. Ich hasse dich!«
»Tamara, komm zurück!« Seine Stimme. Seine wunderbare Stimme, die ich so gern noch einmal gehört hätte. Ach Daddy, ich bin hier, bitte komm wieder heraus aus deinem Büro.
Dann der nächste Morgen. Wie ich ihn gefunden hatte, auf dem Boden.
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