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Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)

Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)

Titel: Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eveline Hall , Hiltud Bontrup , Kirsten Gleinig
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versorgte mich mit allem, was für ihn dazugehörte: Schillers Lied von der Glocke , Gedichte von Goethe und Brecht, später die Dramen von Hauptmann. »Det musste lesen!« Er wollte Bildung für seine Kinder und stellte ein Programm auf, das wir gern annahmen. Ich war ja nicht desinteressiert oder faul. Ich wollte nur selbst entscheiden, wie und was ich lernte.
    Am liebsten wollte ich Neues entdecken. Das traf auch auf Freundschaften zu. Ich wollte immer mit Kindern spielen, die anders waren als ich. Oft stammten sie aus reichen Familien. In meiner Klasse war ein Mädchen, das bei uns in der Nähe wohnte: Soraya Malekki, eine Perserin. Zu ihr fühlte ich mich vom ersten Augenblick an hingezogen und wir wurden Freundinnen. Ihr Vater handelte mit Teppichen. Sie hatten eine Wohnung mit acht Zimmern – ein Palast für mich damals –, in der es kaum etwas anderes gab als Perserteppiche. Überall lagen oder hingen sie, einzeln oder gestapelt. Viel mehr als der Schulstoff interessierte mich, woher diese Teppiche kamen, wie sie geknüpft wurden, wie es in Teheran aussah, wie man dort lebte. Das Fremde war es, was mich faszinierte.
    Darum war Geografie mein Lieblingsfach. Darin war ich absolute Spitze und bin es noch heute. Ich wollte wissen, wo welches Land liegt, wie groß die Meere sind und wie hoch die Berge. Ich wollte die ganze Welt erkunden, wälzte Atlanten und träumte mich weit weg. Und ich wollte Sprachen lernen. Allerdings nicht so, wie man es in der Schule machte. Das schien mir gar nicht verwendbar, und es hörte sich merkwürdig an für mich, wenn wir die Aussprache übten: the man, the woman, the house . Ich fand es furchtbar. Doch hörte ich die Leute in der Oper Englisch sprechen, die Gastsänger, die aus dem Ausland kamen und die ich in der Kantine traf, dann war ich hin und weg. Dann wollte ich ihre Sprache beherrschen. Hier ging es nicht mehr um einzelne Wörter, sondern um ganze Welten, die sich mir auftaten. Ein Klang wie eine Verheißung, ein Geheimnis, das ich teilen wollte.

Ick koof die Parkallee

    1956 kauften meine Eltern eine kleine Wohnung in Hamburg-Eilbek. Ein Vorgesetzter meines Vaters beim NDR übernahm die Bürgschaft, sonst wäre das niemals möglich gewesen. Auf diesen fünfundsechzig Quadratmetern lebe ich heute nach vielen Stationen wieder mit meiner Mutter: zwei Zimmer, Küche, Bad und Flur in einer ruhigen Straße. Ich war elf Jahre alt und musste mein Viertel in Eppendorf verlassen, die Wohnung, in der wir zusammen mit Familie Boesche gelebt hatten, die Kinder, mit denen ich auf der Straße gespielt hatte, meine Freundinnen. Am Anfang hatte ich großes Heimweh. Ich fuhr regelmäßig zum Andreasbrunnen, ging zu Boesches und spürte zum ersten Mal, wie sehr Sehnsucht schmerzen kann. Noch heute suche ich immer wieder alte Orte auf, die wichtig für mich waren. Aber da ich nun auch auf die Volksschule wechselte, hatte ich den Umzug nach einiger Zeit verwunden. Das Wichtigste blieb ja: der Ballettunterricht.
    Die neue Wohnung besaß ein Detail, das mir sofort ins Auge fiel: Der Balkon nach hinten zum Garten hinaus hatte ein Geländer mit einem runden Handlauf. Genau wie im Ballettsaal der Oper! Perfekt, um zu Hause meine Übungen zu machen. Wenn ich die Balkontür ein wenig schräg stellte, konnte ich mich sogar in der Fensterscheibe spiegeln. Aber eigentlich tanzte ich überall träumend in der Gegend herum und spielte in meinem Zimmer die Ballettstunden nach. Das ganze Programm!
    Zu Hause gab es nun etwas mehr Platz. Wir waren nicht mehr bei Boesches zu Besuch, das Rücksichtnehmen war vorbei. Meine Eltern zogen eine Zwischenwand in einen der Räume ein und so bekam jedes Kind sein eigenes kleines Zimmer. Die Küche gehörte uns endlich allein und mein Vater kochte mit großem Elan. Die Zutaten besorgte er auf dem Markt, wo alle ihn kannten. Statt Geld bot er Theaterkarten, zum Tausch bekam er Fleisch für seine Gulaschsuppe. Dann stieß er die Tür mit Schwung auf und rief: »Ick hab Beute jemacht.« Meine Mutter war, wie sie selbst sagt, für die »niederen Arbeiten« zuständig: Gemüseputzen, Abwaschen, Tischdecken. Nur ein Beispiel, an dem sich zeigt, wie unterschiedlich meine Eltern tickten. Mein Vater war auch in der Ehe der Macher, während meine Mutter im Hintergrund blieb. Papa hatte die Ideen und Mami machte mit. Sie war mit Leib und Seele für uns da. Wir waren ihr Leben. Daneben gab es nichts. Bei der Geburt meines Bruders hatte sie mit dem Tanzen für immer aufgehört,

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