Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)
Papa voran, Mami, Schiepchen und ich hinterher. Alles funkelte und glänzte und unter dem Baum lagen, auch wenn wir bis zuletzt ängstlich gezweifelt hatten, Geschenke. Es gab unser traditionelles Weihnachtsessen, Schlei, und für uns Kinder, die wir den Fisch nicht mochten, Roastbeef. Bis heute feiere ich Weihnachten mit meiner Mutter auf diese Weise, in Erinnerung daran, wie es früher zu viert war.
Das Jahr 1957 brachte einen Neuzugang in unsere Wohnung: den ersten Fernseher. Mein Vater hatte eins der ersten erschwinglichen Geräte ergattert und war ganz versessen darauf, uns auch auf diesem Wege zu bilden. Tierfilme von Bernhard Grzimek waren ein Muss ebenso wie der Internationale Frühschoppen mit Werner Höfer am Sonntagmorgen. Natürlich wurde viel weniger Unsinn als heute gesendet, aber mein Vater achtete trotzdem darauf, dass wir nur »gute Sachen« guckten. Was er auch durchgehen ließ, waren Spielfilme, die wir abends gemeinsam anschauten. Einige meiner heutigen Lieblingsfilme habe ich damals zum ersten Mal gesehen.
Sauberer Schweiß
In diesem Jahr durfte ich neben der ersten Klasse der Kinderballettschule auch die zweite Klasse besuchen. Es gab damals noch nicht die strikten Hierarchien, die heute alles regeln. Entscheidend waren Talent und Fleiß der Schüler. Und da ich begabt war und mich voll einsetzte, ging ich nun viermal in der Woche zum Unterricht. Mit dem Wechsel in die zweite Klasse war etwas ganz Wichtiges verbunden: Isabella Vernici nahm mich beiseite. »Es ist jetzt Zeit für deine errrsten Spitzenschuhe«, sagte sie. Auf diesen Moment hatte ich lange gewartet, denn es dauerte eine Weile, bis man von den Schläppchen umsteigen durfte. Ich lief mit klopfendem Herzen nach Hause und stürmte durch die Tür: »Mama, Papa, ich brauche Spitzenschuhe!«
Man konnte sie nicht einfach in Hamburg in einem Laden kaufen. Wir mussten sie bei der Firma Zeta in Bruchsal bestellen, für fünfunddreißig Mark. Das war kein Pappenstiel, aber meine Eltern sahen ja, wie ernst es mir war, und waren bereit, das Geld zusammenzukratzen. Damit die Schuhe genau passten, sollten wir meinen Fußumriss zeichnen. Schon das war ein Ereignis: Mein Vater stellte mich auf ein Papier, setzte seine Brille auf die Nasenspitze und zeichnete mit gespitztem Bleistift ernst und bedächtig um meinen Fuß herum. Dann steckten wir das Blatt in einen Umschlag und ich trug ihn wie eine wichtige Botschaft zum Briefkasten. Nun hieß es warten. Täglich hoffte ich auf Post, wenn ich aus der Schule kam. Endlich kam ein Einschreiben, ein schmales kleines Paket. Vorsichtig öffnete ich den Karton und da lagen sie endlich: die schwarzen Zeta-Schuhe, in durchsichtige Folie gehüllt. Die ganze Familie stand um mich herum und staunte. »Na, denn musste det ja auch ma anziehen, ja, nu zieh doch ma an, wir sind ja alle janz uffjeregt!«, rief mein Vater. Wieeinen Schatz hob ich die Schuhe aus der Schachtel und schlüpfte hinein. Was für ein Gefühl! Ich sah mich schon als Primaballerina. Ich wusste genau, wohin ich wollte, und nun hatte ich die passenden Schuhe.
Sie waren mein ganzer Stolz und ich pflegte sie wie einen Teil von mir. Jeden Abend, wenn ich vom Unterricht kam, putzte ich sie, obwohl es nicht viel zu putzen gab. Aber sie sollten immer sauber und perfekt sein. Auch mein Trikot, das Schiepchen mir geschenkt hatte, wusch ich selbst aus und hängte es auf, damit es am nächsten Tag wieder in Ordnung war. Kleine Löcher nähte oder stopfte ich selbst.
Als ich vierzehn wurde und seit fünf Jahren zum Ballettunterricht in der Staatsoper ging, erlaubte Isabella Vernici mir, hin und wieder die Elevinnenklasse zu besuchen, also mit den Mädchen zu üben, die an der Staatsoper die Tanzausbildung machten. Wie bei den Erst- und Zweitklässlern galt: Wer gut genug war, durfte teilnehmen. Ich nutzte jede Gelegenheit und war stolz, mit denen an der Stange zu stehen, deren Beruf bald das Tanzen sein würde. Der Leiter des Balletts, der die Klasse damals unterrichtete, hieß Gustav Blank. Er war wohl erst um die fünfzig, für mich aber hatte er schon etwas Seniorenhaftes, wie der Ballettmeister auf den Bildern von Edgar Degas, dieser niedliche Alte, der sich bei der Probe zwischen den Ballerinen auf sein Stöckchen stützt. Auch Gustav Blank stand so zwischen uns, weißhaarig und klein, wie eine Märchenfigur. Er war immer freundlich und leise, auch bei Kritik, und trotzdem ganz präzise: »So geht es nicht. Ihr wisst, wie es geht. Jetzt machen
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