Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)
wir es richtig.« Statt eines Trainingsanzugs trug er eine graue Hose, dazu ein schlohweißes Hemd und Schläppchen. Mit den Händen klatschte er den Takt für unsere Übungen an der Stange: »Und eins und zwei und drei und vier. Das Ganze im Plié und zwei und drei und vier. Und noch mal und Fouetté und da sind wir wieder. Und zweite Position und zwei und drei …« Dabei sprang seine ganze Freude am Tanz auf mich über. Ich konnte es kaum erwarten, in seine Stunden zu gehen.
Das Ende meiner Schulzeit rückte näher, und für mich war vollkommen klar, dass ich nun die dreijährige Tanzausbildung an der Staatsoper absolvieren würde. Daran gab es überhaupt keinen Zweifel. Ich hatte diesen Weg eingeschlagen und wollte ihn um jeden Preis weitergehen. Meine Eltern kannten meinen Wunsch nur zu gut, sie hatten ja erlebt, dass ich all die Jahre nichts anderes wollte als tanzen. Trotzdem war ihnen nicht wohl dabei. Die Ausbildung anzufangen war eine Lebensentscheidung, und sie fürchteten, dass ich in meinem Ehrgeiz enttäuscht werden könnte: »Is ja janz klar«, sagte mein Vater, »wenn de die Letzte in der achten Reihe bist, denn is det natürlich n hartet Brot. Det muss sich ja lohnen, det de denn auch da vorne stehst. Sonst is der Beruf ja nischt. Det is so, wie wenn de Schauspieler wirst und nur sachst: Herr Graf, die Pferde sin jesattelt. Da biste ooch nich glücklich.« Aber ihre Einwände beeindruckten mich nicht. Außerdem passten Zweifel nicht zu dem, was mein Vater mir beigebracht und vorgelebt hatte. Und das hielt ich ihm vor: »Papa, du hast immer gesagt, man soll die Dinge gleich machen. Nicht sagen: Vielleicht morgen oder irgendwann später. Wer weiß, was kommt. Und das ist jetzt meine Chance. Jetzt mach ich Ballett, jetzt!« Das überzeugte ihn: »Hast ja recht. Wenn ick det jesacht habe, hab ick det jesacht.« Und letztlich waren sie froh und dankbar darüber, dass ich so war. Dass ich wusste, das ist mein Weg, dahin will ich!
Um meinen Bruder sorgten sie sich mehr, denn er hatte keine Vorstellung und keine Wünsche. Er hatte zwar an der Rudolf-Steiner-Schule eine bessere Schulbildung als ich und spielte viel Theater, aber er wusste nicht, was er wollte. Er hatte kein Ziel. Das war später ein viel größeres Problem für meine Eltern. Ich hingegen hatte etwas, wofür ich mich mit Haut und Haar engagierte und worauf ich aufbauen konnte. Ich bewegte mich in einer Welt, in der ich etwas erlebte, von der ich zu Hause erzählte. Ich brannte fürs Ballett.
So startete ich im Sommer 1960 voller Begeisterung in meine Tanzausbildung an der Hamburgischen Staatsoper. Endlich gehörte ich zu den Elevinnen! Neben unserem täglichen Training gingen wir an jedem Mittwoch zur Berufsschule. Die Schule in der Lohmühlenstraße hatte einen Sektor speziell für Künstler, den wir zusammen mit den Schauspielern besuchten. Wir lernten alles, was wir auf der Bühne brauchen würden: Literatur, Französisch, Englisch – sogar Anatomie. Alles hing mit Tanz und Schauspiel zusammen und plötzlich war das Lernen kein Problem mehr für mich. Ich sog den Stoff förmlich auf. Ganz besonders faszinierte mich Anatomie. Sie lehrte mich, was ich beim Ballett tat und warum. Ich hatte die Zeichnungen von Leonardo da Vinci haarklein im Kopf, studierte alles, was mit Symmetrie zu tun hatte, und wollte wissen, was ich meinem Körper zumuten, wie weit ich gehen konnte. Endlich verknüpfte sich der Stoff mit meinem Leben.
Die praktische Ausbildung bei Gustav Blank kannte ich ja schon, aber jetzt gehörte ich selbst hierher und bekam einen eigenen Spind in der Garderobe. Schon beim Reinkommen empfing mich ein Geruch, der Lust auf die Übungen machte: ein Geruch nach sauberem Schweiß, nach guter Arbeit, ganz angenehm und klar. Dann trat ich in den großen Saal mit den Spiegeln an zwei Seiten und dem Klavier in der Ecke. Die Pianistin, eine gemütliche ältere Dame mit strengem Haarknoten, riesigen Ohrringen und viel Schminke im Gesicht, saß schon auf ihrem Hocker und nickte mir freundlich zu. Ich kannte sie seit meinen ersten Tagen im Kinderballett und mochte sie sehr, obwohl sie mich etwas an Tante Tuto erinnerte. Aber sie strahlte so viel Ruhe und Wärme aus, dass ich mich in ihrer Nähe sofort wohlfühlte. Wenn alle an der Stange standen, fing sie an zu spielen und Gustav Blank sagte die Übungen an. Er duzte uns alle und hatte einen unglaublichen Humor.
Viele seiner Sätze klingen mir bis heute im Ohr. Wenn zum Beispiel jemand etwas
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