Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)
mit einundvierzig Jahren, das Centre de Danse Classique in Cannes gegründet, wo sich im Sommer alles traf, was im Ballett einen Namen hatte. Tänzer und Tänzerinnen aus der ganzen Welt machten Urlaub und trainierten gleichzeitig, um nicht einzurosten. Drei Sommer hintereinander verbrachte ich auf diese Weise an der Côte d’Azur. Allerdings gönnte ich mir den Luxus, nicht im Internat zu übernachten, sondern in einem kleinen Hotel um die Ecke. Ich wollte mein Feriengefühl wirklich auskosten. Trainiert wurde am Vormittag. Ich stand mit Rudolf Nurejew, Marcia Haydée, Angèle Albrecht und Margot Werner an der Stange. Wir trainierten ganz professionell und selbstverständlich nebeneinander. Ohne den Konkurrenzdruck der Oper war dies die reine Freude. Alles war leicht und beschwingt. So verlief auch der weitere Tag: Um ein Uhr war Schluss mit dem Üben, und schon ab zwölf strömte vom Restaurant auf der Straße verlockender Essensduft herein, dass ich ständig auf die Uhr schielte. Kaum dass der Unterricht vorbei war, spazierte ich ins Freie, suchte mir ein Plätzchen auf der Terrasse in der Sonne und studierte die Tafel mit dem Tagesgericht, häufig ein frischer Mittelmeerfisch, der köstlich zubereitet war. Am Nachmittag gingen wir gemeinsam an den Strand. Wir aalten uns in der Sonne, sprangen ins Meer und alberten herum. Zwischendurch aß ich die leckersten Eisbecher, glace au chocolat, coupe de fraises à la crème chantilly … Und abends gingen wir aus. Wir aßen uns durch die Restaurants der ganzen Stadt und ich lernte die französische Küche in all ihren Facetten kennen. Lauter Spezialitäten, die ich nicht kannte. Ich probierte von allem und schwelgte in den unbekannten Aromen.
Das blieb nicht ohne Folgen. Jedes Jahr kam ich mit etlichen Pfund zu viel nach Hause. Beim Training wickelte ich mir eine Strickjacke um die Hüften, um sie zu verbergen – ohne Erfolg. Das zeigten mir die spöttischen Blicke, die ich erntete. Doch bis zum Beginn der Aufführungen kam ich wieder auf mein altes Gewicht und hielt es die ganze Spielzeit über – bis zum nächsten Sommer. Ich genoss mein süßes Leben an der Côte d’Azur und scherte mich nicht darum, was danach kam. Schließlich fand mein Privatleben nur hier im Urlaub statt. Und da gab es vieles nachzuholen. Ich merkte, dass ich den Männern am Strand hinterherschaute und umgekehrt die Blicke auf mich zog. Plötzlich hatte ich Spaß daran, mich zurechtzumachen. Ich spazierte schon nachmittags in Minirock und Stöckelschuhen an den Strand und fand es toll, dass ich so glänzen konnte. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl: Ich mache mich schön. Ich war ein Glamourgirl geworden.
Und so hat Jean Robier mich in Cannes gemalt. Rosella Hightowers Ehemann war Künstler und entwarf als Bühnenbildner die Dekorationen für den berühmten Choreografen Maurice Béjart. Eines Tages fragte er, ob ich ihm Modell stehen würde. Er malte mich in Öl in einem tief ausgeschnittenen orangenen Overall mit blond gefärbten Haaren und unglaublich langen Wimpern. In dieser Aufmachung lernte ich natürlich schnell neue Leute kennen. Jeden Abend war ich unterwegs mit einer ganzen Gruppe von Einheimischen und einer gefiel mir von Anfang an besonders: Alain. Es knisterte wie verrückt zwischen uns, aber er hatte eine Freundin, die nichts davon wissen durfte. Zu allem Überfluss hieß auch sie Eveline. Aber wir fanden Mittel und Wege, uns allein zu treffen, und Alain wurde meine große Liebe in Cannes. Ich war damals noch vollkommen unerfahren, und Alain respektierte das. Nie gaben wir uns unserer Verliebtheit vollkommen hin, wobei er derjenige war, der die Grenze wahrte. Mir wurde erst hinterher klar, dass ich noch nicht so weit war. Wir blieben in Kontakt, sahen uns jedes Jahr wieder und trafen uns ein letztes Mal 1970 in Paris.
Auch wenn ich zu dieser Zeit mein Leben als Tänzerin noch nicht infrage stellte, so meldeten sich hier in Cannes ganz leise die ersten Zweifel. Ich bekam einen Geschmack davon, dass es noch andere Dinge im Leben gab, die ausprobiert sein wollten. War ich wirklich die Tänzerin, die bereit war, alles zu opfern für ihren Beruf? Auf all das Schöne zu verzichten, das ich gerade kennenlernte?
Nach dem dritten Sommer in Cannes, 1966, drängten diese Fragen in mein Bewusstsein. Ich hatte wieder acht, neun Kilo zugelegt, die mussten schnellstmöglich herunter. Noch dazu war zum Beginn der Spielzeit ein Gast an der Staatsoper, der mich als Solistin
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