Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)
verließ mich nicht nur mein Elan. Schon länger deutete sich an, dass Rolf Liebermann und Peter van Dyk nicht dieselben Ziele verfolgten. Liebermann hatte höchste Ansprüche an die Oper und van Dyk war dem nicht gewachsen. In seiner Mehrfachfunktion als Tänzer, Choreograf und Ballettdirektor war er nicht frei genug, um das Tanztheater auf Weltniveau zu heben. So brodelte es, bis sich 1970 der Konflikt zuspitzte und schließlich eskalierte. Die Stimmung im Haus litt enorm darunter. Mich selbst bedrückte dieser Tumult sehr, ich konnte es kaum aushalten, dass meine beiden Mentoren so über Kreuz lagen. Schließlich sollte van Dyk die Staatsoper verlassen – und mit ihm ein Teil des Ensembles. Es wurde ein Interimsgremium eingesetzt, das die Entscheidungen im Ballett traf, bis ein neuer Leiter kam, und dieses Gremium sprach die Kündigungen aus. Auch ich bekam ein solches Schreiben mit der Post. Als ich den Brief öffnete, hatte ich das Gefühl, mich wie von außen zu beobachten. Nach all den Jahren – vom Kinderballett über die Elevinnenzeit bis hin zur fest engagierten Solotänzerin – konnte ich mir ein Leben ohne die Staatsoper nicht vorstellen. Und trotzdem brach für mich nicht alles zusammen. Offenbar hatte sich meine Haltung so sehr verändert, dass auch etwas anderes möglich erschien.
Also fuhr ich spontan zu einem Vortanzen nach Stuttgart. Dort leitete John Cranko seit 1961 das Ballett. Mit Tänzerinnen wie Marcia Haydée und Birgit Keil war es das erste Haus in Deutschland, hatte seit Ende der Sechzigerjahre sogar Weltruhm erlangt. Tatsächlich lief alles gut und Cranko hätte mich genommen. Da er seine Leute aber selbst aufbaute, sollte ich zunächst eine Gruppenposition besetzen. Also noch mal von vorn, mich wieder hocharbeiten? Nach allem, was ich schon erreicht hatte, war es keine Option, wieder ganz unten anzufangen. Ich wollte mich nicht wieder binden. Ich war zwar erst vierundzwanzig, konnte also noch etliche Jahre als Tänzerin arbeiten. Aber ich spürte, dass ich den Höhepunkt meiner Laufbahn hinter mir hatte. Dass trotz meines Fleißes und meines starken Willens etwas Entscheidendes fehlte, um noch weiterzukommen auf dem eingeschlagenen Weg: die Freiheit und die Bühnenpräsenz, die nur die ganz großen Tänzer besitzen. Und es gab die Stimme in mir, die sagte: Dein Leben hat noch mehr zu bieten. Nur was? Und wo?
— SHOW —
Klopsch again!
Das Flugzeug ging in den Landeanflug, wir stießen durch die Wolken und dann sah ich es endlich, mein neues Zuhause. Ich fand es grauenvoll. Dieses Blinken und Flimmern, die Leuchtreklame für Siegfried und Roy, für Dean Martin und die Kasinos – ich sah nur grelle Lichter, links und rechts. Wir flogen tief über den Las Vegas Strip, die große, lange Vergnügungsstraße. Die Stadt glitt unter uns hinweg, dahinter dehnte sich die Wüste bis zum Horizont. Hier sollst du leben?, dachte ich. Zwölf Stunden Flug hatte ich hinter mir und Beine wie ein Elefant vom langen Sitzen. Noch nie hatte ich so etwas gesehen. Eine sechzig Meter hohe Säule hob den Namenszug des Stardust-Hotels in den Himmel, umgeben von einer Wolke bunt blinkender Sterne. In diesem Haus sollte ich tanzen. Das konnte nicht wahr sein! Die weißen Wohnblocks des Hotels lagen da wie eine Fabrik, mit Palmen und einem gigantischen Pool in der Mitte. Mich packte das Grausen: Das halte ich höchstens ein, zwei Monate aus, dachte ich. Ich spare ein bisschen Geld und dann nichts wie weg von hier. Mir war sofort klar, dass ich die falsche Wahl getroffen hatte.
Acht Wochen war das her. Im Januar 1970 saß ich in der Kantine der Staatsoper, zusammen mit meinem Tanzpartner Peter Mertens. Er hatte ein Engagement in Stuttgart und gastierte als Solist bei uns. Wir tanzten einen Pas de trois in Schwanensee , eine meiner letzten Rollen, bevor mein Vertrag auslief, und Peter merkte nur allzu deutlich, dass bei mir die Luft raus war. Früher hatte ich mir nie viel Zeit zum Reden genommen. Jetzt zog ich meine Pausen in die Länge. »Klopschi, was willste denn machen?«, fragte er. »Willste an eine andere Bühne?«– »Ich weiß es doch auch nicht.« Ich fühlte mich blind und taub, lief wie ferngesteuert durch die Gegend, hatte keine Idee, was aus mir werden sollte. »Warts ab«, meinte Peter, »irgendwas wird bald passieren.« Fünf Tage später rief er mich zu Hause an. Er habe zufällig einen Manager vom Lido kennengelernt, der suche in Europa Mädchen für die große Show. »Dem habe ich
Weitere Kostenlose Bücher