Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)

Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)

Titel: Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eveline Hall , Hiltud Bontrup , Kirsten Gleinig
Vom Netzwerk:
die noch nie von ihr gehört hatte. Fast sechzig Jahre war sie alt und ihre glockenblumenblauen Augen, die ihr als Kind diesen Namen eingebracht hatten, leuchteten wach und klug. Sie war eine irische Waise, in England aufgewachsen und hieß bürgerlich Margaret Kelly Leibovici. Schon als Vierzehnjährige trat sie in einer Wandergruppe auf, Ende der Zwanzigerjahre tanzte sie im Berliner Revuetheater Scala. 1932 gründete sie am Folies Bergère in Paris ihre eigene Gruppe, die Bluebell Girls, die dort bis zum Zweiten Weltkrieg die Show bestritten. Die Folies gab es schon seit 1869 in Paris, die ersten bloßen Brüste waren dort 1907 zu sehen – es waren die der Dichterin Colette. Seitdem zeigten die Bühnen der Revuetheater in Europa mehr und mehr nackte Haut.
    Am Folies Bergère traten die Bluebells mit Josephine Baker auf, mit Maurice Chevalier und der Sängerin Mistinguett, die auch damals mit über sechzig noch mädchenhaft lächelte und perfekte Beine zeigte. Bis zum Zweiten Weltkrieg hatte Miss Bluebell ihre Truppe auf vielen Tourneen international bekannt gemacht – dann war diese Ära erst einmal zu Ende. Die Theater schlossen, die Mädchen reisten zurück in ihre Heimatländer. Bluebell selbst wurde als vermeintliche Engländerin von den deutschen Besatzern verhaftet, sie kam aber bald wieder frei. Auch ihr jüdischer Mann Marcel wurde in ein Lager verschleppt. Er konnte fliehen und sich bis Kriegsende über zwei Jahre lang verstecken.
    Der Ruhm der Bluebells überdauerte all das. 1948 wurden sie am neuen Revuetheater Lido an den Champs-Élysées für die große Show engagiert. Miss Bluebell suchte den Mädchentyp, der schon vorher das Bild der Truppe geprägt hatte: Blond, 1,75 Meter groß, mit extrem langen Beinen, langen Hälsen, eleganter Haltung. Sie sollten beim Tanzen unbeschwert lächeln und die überbordenden Kostüme mit Grazie tragen.
    Miss Bluebell empfing uns mit der Mischung aus Kühle und Mütterlichkeit, die so typisch war für sie. Ihr ganzes Wesen verströmte Geschäftssinn und Erfahrung. Sie wusste genau, was sie tat, und strahlte eine Klarheit aus, die mir Respekt einflößte. Hunderte Tänzerinnen hatte sie schon rekrutiert und viele von ihnen kannte sie noch Jahre später mit Namen. Wir waren ein gutes Dutzend Mädchen aus ganz Europa und sie gab uns in die Obhut unseres Captaingirls Louise. Captaingirls waren oft ehemalige Tänzerinnen, die die Anforderungen und den Ablauf der Show aus dem Effeff kannten. Louise Rodes war Australierin, ein Drache mit Herz, ich sehe sie nach all den Jahren immer noch lebensgroß vor mir: Louise in ihrem roten Anzug, mit Pfeife oder Zigarette, groß, vollschlank, kurze blonde Haare, tiefe Stimme. Sie passte auf uns auf und kümmerte sich um die Formalitäten. Und sie fand ganz schnell heraus, wem sie auf die Finger schauen musste. »Hi, Klopsch, you fill out these papers here.« – »Okay … what is sex?« – »Well, are you a man or a woman, Eveline, this is the question here. I would make a cross at female.« Louise machte nie viel Worte und wir nahmen jedes einzelne sehr ernst. Ich fürchtete sie und gleichzeitig verehrte ich sie aus tiefstem Herzen.
    Später am Abend besuchten wir die Lido-Show. Sie gaben damals Bonjour la Nuit und als Star gastierte Marlène Charelle. Sie war sechsundzwanzig, kaum älter als ich, und stammte aus dem Hamburger Umland. Ich fand sie zauberhaft mit ihren hohen Wangenknochen und diesem warmen Lächeln. Überhaupt war das alte Lido ganz bezaubernd, so plüschig-rot und süß, wie eine Bonbonniere. Eben ein richtiges Kabarett. Ein bisschen verrucht, ein bisschen sympathisch, ein bisschen zu viel von allem. Und ganz intim. Ich hätte nie gedacht, dass achthundert Leute hineinpassten, aber alle saßen eng beieinander und viele zogen sich in Separees zurück. Die Showgirls tanzten durch den Zuschauerraum, Mädchen schwebten von der Decke. Alle waren oben ohne, bis auf die Solistinnen und die Bluebells, die Truppe, zu denen ich nun auch gehören sollte. Alle sahen traumhaft aus. Und dazu die tolle Musik, das immer neue Bühnenbild – ach Gott, dachte ich, das werd ich machen! Ich würde in einer verrückt-bunten Show tanzen, mit großen Kulissen und Tieren, zigmal am Abend das Kostüm wechseln, als Paradiesvogel, Katze und Frosch auftreten. In Netzstrümpfen, einem sexy Trikot, mit meterweise Strassbändern, Pailletten und Federn, Federn, Federn. Ich würde in Riemchenschuhen tanzen, auf acht Zentimeter hohen Hacken. Oh je

Weitere Kostenlose Bücher