Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)
Beim Sex verwandelte er sich von dem sonst so vernunftgesteuerten Intellektuellen in ein vollkommen verträumtes, lethargisches Wesen. Wie durch einen Zaubertrank. Er hatte ein unglaubliches Repertoire im Bett. Aber bald merkte ich, dass etwas nicht stimmte. Er hatte etwas Mephistophelisches an sich. An einem Abend nach der Vorstellung konnte ich diese Seite an ihm genau beobachten. Wie so oft gingen wir ins 186, einen Nachtclub in der Dorotheenstraße. Wir saßen innig vereint bei einem Drink, als auf einmal ein junges Mädchen auf uns zukam. Ich kannte sie als Statistin am Theater und wusste, dass sie vor mir mit ihm zusammen gewesen war. Sie beugte sich zu ihm hinunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er flüsterte zurück, dann ging es ein paarmal hin und her und sie zog wieder ab. »Was wollte sie denn von dir?«, fragte ich. – »Sie wollte mit mir bumsen.« Perplex antwortete ich: »Aber sie hat doch gesehen, dass du mit mir hier bist.« – »Ja, aber ich habe ihr beigebracht, immer zu sagen, was sie möchte. Selbst auf die Gefahr hin, dass ich das nicht will. Damit muss sie rechnen. Und heute ist es so: Ich will nicht.« Wie arrogant und boshaft! Das Mädchen tat mir wahnsinnig leid. Und gleichzeitig ahnte ich, die Nächste bin ich. Trotzdem blieb ich sitzen. Jahrelang habe ich darüber nachgedacht, warum ich nicht aufgestanden bin. Bis heute werfe ich mir das vor. Dieser Mensch war wirklich böse. Er war nicht handgreiflich, aber in seinem Tun lag eine Boshaftigkeit, die ich nun auch mir gegenüber deutlich spürte. Immer musste er alles entscheiden, er allein wollte bestimmen, ob wir uns sahen oder nicht. Er zwang mir sogar ein perfides System fürs Telefonieren auf. Ich sollte es zweimal klingeln lassen und dann wieder auflegen, damit er wusste, dass ich es war. Auf diese Weise konnte er sich überlegen, ob er mich sprechen wollte. Ich spielte mit und merkte viel zu spät, wie er mich auf ganz subtile Art manipulierte. Ich hatte dem nichts entgegenzusetzen. Er gewann immer mehr Macht über mich. Wie ein scharfes Rasiermesser, das du erst gar nicht spürst, und wenn du es merkst, steckt es schon zur Hälfte in deinem Körper. Nach drei Monaten gelang mir der Absprung. Aber durchgestanden war die Sache damit nicht. Denn diese Geschichte war so intensiv, dass so manche langjährige Ehe nicht an sie heranreicht. Ich musste mich also der Frage stellen, wie mir das hatte passieren können. Gleichzeitig beobachtete ich, dass er sein Spiel auch mit anderen Kolleginnen spielte. Eine nach der anderen litt unter ihm, alle waren unglücklich und verzweifelt, während er sich jedes Mal ohne Blessuren davonschlich. Da sah ich, dass ich gerade noch mal mit heißem Hintern davongekommen war. Ich war an meine Grenzen geraten. Das war eine schlimme Erfahrung. Doch es gelang mir, daraus Stärke zu ziehen. Niemand sagt mir heute, wann ich anrufe und wann nicht. Und wenn das irgendwem nicht passt: Da ist die Tür. Nie wieder werde ich mich so unterordnen. Das war die Erfahrung, die ich damals mitnahm. Darum war dieser Mann ganz wichtig in meinem Leben.
Kaum war Sweet Charity angelaufen, begannen die Proben für das nächste Musical. Chicago stand auf dem Programm. Helmut Baumann wollte, dass ich die Kitty spiele. Er empfahl mir einen Lehrer, der mich aufs Singen vorbereiten sollte. In der Wohnung von Herrn Mietzner standen so viele Möbel, dass ich kaum bis zum Klavier durchkam. Während des Unterrichts war er meistens mehr mit seiner Katze beschäftigt als mit der Musik. Vermutlich lag das an seinem Namen. Besonders viel beigebracht hat er mir nicht, trotzdem habe ich noch heute seinen Hamburger Dialekt im Ohr: »Weissu was, Eveline, singen is logisch und s-prechen is unlogisch. Nimm n Kinderschrei. Warum vertragen die S-timmbänder das wohl? Weil die Kinder es richtig machen. Und wenn der hohe Ton kommt, denn mussu immer an Bock-s-pringen denken.« Während der Theaterproben wurde mir klar, dass mich die kleine Kitty-Rolle wenig interessierte. Ich wollte eine der Gangsterinnen spielen! Das waren tolle Rollen mit Tanz und Gesang. Die Lipschitz reizte mich am meisten. Ich wusste, sie war genau das Richtige für mich. Bigi versuchte, mich zu bremsen, ich könne mir solche Extrawürste noch nicht leisten, meinte sie. Aber ich dachte pausenlos nach, wie ich die Rolle bekommen könnte. Ich lernte sogar heimlich den Text auswendig und malte mir aus, wie ich die Lipschitz spielen wollte. Der Zufall wollte es, dass eine der
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