Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)
hatte, so besaß ich eine gute Grundlage. »Wenn Sie das lesen, Frau Hall, dann werden Sie die Verbindung zum Text sehen. Und beim nächsten Mal erwarte ich, dass Sie das aufgenommen haben. Dann kommen wir noch viel näher an die Rolle heran.« Für das Vorsprechen erarbeiteten wir Die jüdische Frau , eine Szene aus Bertolt Brechts Furcht und Elend des Dritten Reiches . Am Tag des Vorsprechens saß das ganze Prüfungsgremium, vom Intendanten über die Dramaturgen bis zum Verwaltungsleiter, im Zuschauerraum des Thalia Theaters. Ich trat auf die Bühne, auf der ich mich schon zu Hause fühlte und nun trotzdem beweisen musste, dass ich dorthin gehörte. Ich hatte wahnsinnige Angst. Heute denke ich, so muss Steffi Graf sich gefühlt haben, als sie 1987 in Wimbledon gegen Martina Navrátilová antrat. Das war der Moment, wo sie es bringen musste, das Ass musste einfach kommen. Und es kam, ehrlich und sauber. Steffi Graf beherrschte ihren Sport, gewann zigmal und nie hatte sie etwas Arrogantes an sich. Wenn ich sie kennenlernen würde, ich würde einen Knicks machen.
Das Prüfungsgremium ließ mich bestehen. Anschließend kam Boy Gobert mit einem Angebot zu mir. »Wir machen Faust I und II . Und da habe ich einige Rollen für Sie, Püppi.« Mir war, als breite er einen roten Teppich vor mir aus. Gerade erst hatte ich vorgesprochen, ich war eine blutige Anfängerin im Gegensatz zu meinen Kollegen, die den Beruf jahrelang gründlich gelernt hatten. Und nun gleich der Faust . Dazu noch an diesem renommierten Haus. Was hatte ich für ein Glück! Inszeniert wurden die Stücke von Hans Hollmann, der sich damals schon als Regisseur einen Namen gemacht hatte, vor allem mit seiner Baseler Inszenierung von Karl Kraus’ Die letzten Tage der Menschheit . Nun kam er als Gast ans Thalia Theater und probte mit uns. Ich war für mehrere kleine Rollen besetzt, zum Beispiel in der Walpurgisnacht. Vor allem aber für die Helena des Spiels, die Hollmann sehr tänzerisch anlegte. Ich konnte also weiter ausprobieren, lernen und mein Spiel perfektionieren.
Am Rande der Probenarbeit lernte ich Hollmanns Frau kennen. Wir saßen zu dritt zusammen und ich spürte, wie sie mich musterte und bedeutungsvolle Blicke mit ihrem Mann wechselte. Schließlich erzählten sie mir, was sie dachten. Wegen des großen Erfolgs von Dieletzten Tage der Menschheit in Basel sollte Hollmann dieses gigantische Stück aus über zweihundert Szenen 1980 bei den Wiener Festwochen aufführen. Die Besetzung blieb nur in Teilen bestehen; für einige Rollen suchte er neue Leute, auch für den Kaiser Wilhelm. In Basel hatte ihn eine Berliner Schauspielerin gespielt, der ich wohl äußerlich ähnelte. Darum meinte Hollmanns Frau: »Die dünne Gestalt, das schmale Gesicht, die Berliner Schnauze – die Eveline wär genau die Richtige.« Es war kühn, eine Anfängerin wie mich in so ein Riesenprojekt aufzunehmen. Doch Hollmann erlebte mich ja bei den Proben zum Faust. »Es ist eine enorme Herausforderung für dich, Püppi«, sagte er. »Aber ich will sehen, ob du das kannst. Lass es uns gleich mal auf der Probebühne versuchen.« Wir wählten die satirische Szene, in der der Kaiser mit Ludwig Ganghofer auftritt. Hollmann rief mir Ganghofers Text rein und ich improvisierte Wilhelm II. Schon vom Blatt machte mir diese Rolle einen Wahnsinnsspaß. Hollmann war sofort überzeugt, konnte mir aber noch nichts versprechen – vertraglich war ich ans Thalia gebunden. Zu diesem Zeitpunkt stand allerdings schon fest, dass Boy Gobert als Intendant nach Berlin wechseln würde. Damit argumentierte Hollmann, als er versuchte, mich für die Wiener Inszenierung freistellen zu lassen. Gobert würde mich in Hamburg ohnehin nicht mehr fördern können. Und man dürfe mir diese einmalige, große Chance nicht verbauen. Am Ende willigte Gobert ein und Hollmann rief mich an: »Wir sehen uns in Wien!« Ich konnte es kaum fassen, Bigi ebenso wenig: »Na, das is a G’schicht! Du spielst in Wien, da hab noch net einmal ich g’spielt.« Sie organisierte mir sofort eine Unterkunft. Die erste Zeit wohnte ich bei ihrer Mutter, später hatte ich eine eigene kleine Wohnung in einer Wiener Gasse. Wir probten sechs Monate lang und bei der Arbeit an diesem außergewöhnlichen Stück wuchs unser Ensemble wie eine Familie zusammen. Die große Nähe spüre ich noch heute, wenn ich Kollegen wiedertreffe. Die Inszenierung wurde erneut ein Riesenerfolg. Die Kritiker waren begeistert und lobten auch mich in meiner
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