Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)
Gangsterschauspielerinnen mit der Rolle der Mrs. Sunshine liebäugelte. Sie war Koloratursängerin und wollte ihr Können gern einbringen. Wir heckten einen Ringtausch aus. Helmut Baumann ahnte nichts davon. Er merkte jedoch bald, dass die Schauspielerin, mit der er die Mrs. Sunshine besetzt hatte, mit dem Gesang überfordert war. Wie schön, dass sich schnell so ein guter Ersatz fand! Und damit wurde die Rolle frei, auf die ich spekulierte. Allerdings ging der Tausch nicht ohne Prüfung ab. »Dann zeig mal, was du kannst«, forderte Helmut Baumann mich auf. Ich spielte, sang und tanzte so, wie ich es für mich geübt hatte, und bekam die Rolle tatsächlich. Am Premierenabend wünschte Helmut mir toi, toi, toi und sagte: »Püppi, das hast du ganz allein geschafft.«
Am nächsten Tag kam Nicole Heesters mir in der Kantine entgegen: »Du bist in aller Munde.« Sofort hatte sich herumgesprochen, dass da eine Neue war, die einfach sagte: »Das kann ich!«, und dann überzeugte. Das war mir nicht nur als Lipschitz gelungen, sondern auch als Tanzlehrerin für Nicole Heesters und Judy Winter. Die beiden spielten die Hauptrollen und hatten mich während der Proben gebeten, ihnen im wahrsten Sinne des Wortes ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Ich hatte gleich zweifach mein Können gezeigt, und das als blutige Anfängerin am Haus. Das hatte Durchschlagskraft. Ich hatte ein Spielfeld gefunden, auf dem ich alles, was ich gelernt hatte, anwenden und gleichzeitig Neues entdecken konnte. So tickte ich, so hatte ich schon immer getickt. Und das sahen auch die Kollegen. Darum bekam ich für das nächste Stück ebenfalls einen Vertrag. Ich spielte kleine tanzbetonte Rollen in Alice im Wunderland , am liebsten waren mir der Zitteraal und die Feuerlilie. Hier konnte ich zeigen, wie flexibel ich war, was ich körperlich draufhatte und dass ich eine komische Seite besaß. »Iiich biiin die Feuerlilie, und iiich biiin leider die Schööönste«, trillerte ich und entfaltete meine Arme wie Blütenblätter. Boy Gobert liebte das. Nun hatte ich schon in drei Stücken mitgewirkt. Ingrid Andrée, mit der ich mich angefreundet hatte, meinte: »Boy Gobert tut sich doch selbst einen Gefallen, wenn er dich ins Ensemble holt. Es wird immer kleine Rollen für dich geben.« Genau das war zu dieser Zeit mein Anspruch: Ich wollte mich im Theater ausprobieren, sah mich aber nicht als große Schauspielerin. Ich hatte ja nie Unterricht genommen. Es reichte mir vollkommen, auf der Bühne zu arbeiten, mein Können einzubringen und dabei Neuland zu erkunden. Nie hätte ich gedacht, dass noch eine weitere Begabung in mir steckte. Ebenso wie Nicole Heesters setzte sich auch Eberhard Witt, die rechte Hand des Intendanten, für mich ein. Und tatsächlich rief Boy Gobert kurz darauf an, um mich zu engagieren. Ich erinnere mich genau, wie ich nach dem Gespräch mit meinen Eltern durch den Stadtpark spazierte. »Püppi«, sagte mein Vater, »det is doch jrooßartig, stell da ma vor, du als Tänzerin an so nem Haus von Rang und Namen, na wer hat denn son Glück? Det is ja nich in Kyritz anner Knatter. Und selbst wenn de nur kleene Rollen spielst oder die Schleppe trägst, det macht doch nüscht. Da kriegste deen Jeld und später mal ne Rente.« Obwohl mein Vater selbst ein festes Engagement immer abgelehnt hatte, freute er sich über meine neue Stelle, und meine Mutter war ganz glücklich. Zu verdanken hatte ich sie meiner Dicken, die mich ans Thalia Theater mitgeschleppt hatte. Ohne sie wäre ich nie zum Schauspiel gekommen. All das, was in den nächsten Jahren noch folgen sollte, hätte ich nicht erlebt, wenn sie mir damals nicht die Tür geöffnet hätte.
Als festes Ensemblemitglied verdiente ich zweitausendzweihundert Mark im Monat – das war das Anfängergehalt. Bevor wir den Vertrag unterschrieben, stellte Boy Gobert mir eine Bedingung: »Ohne Schauspielausbildung geht es nicht. Sie müssen jetzt Unterricht nehmen, das kann ich Ihnen nicht ersparen. Und später sprechen Sie uns vor. Ganz offiziell.« Er empfahl mir als Lehrerin Annemarie Marks; bei ihr nahm ich nun zweimal pro Woche Privatstunden. Frau Marks lehrte mich alles: vom richtigen Atmen bis zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Rollen. Die Stimme musste sitzen, und ich lernte, mich einer Rolle so zu nähern, dass ich am Ende ganz hineinschlüpfen konnte. Oft brachte Annemarie Marks mir auch Sekundärliteratur zu Dramen und Rollen mit. Ich war froh, dass ich in Las Vegas Literatur studiert
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