Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)
großem Fuß gelebt. Ich machte ihm Vorwürfe, er hätte mich einweihen müssen. »Dann wären wir eben nicht essen gegangen. Ich muss doch wissen, woran ich bin!« Ich wollte mich sogar von ihm trennen. Aber Serge hatte wieder einmal eine Idee: »Wir ziehen nach Aix. Da kann ich den gesamten Süden als Kundengebiet neu erobern. Das hat Potenzial.« Wir flogen nach Aix-en-Provence und schauten uns eine kleine Wohnung an. Sie war das komplette Gegenteil zu unserem Pariser Appartement: eine kleine Maisonettewohnung in einem schäbigen Haus, alles en miniature und nichts in gutem Zustand. Wir setzten uns in ein Café um die Ecke auf dem Cours Mirabeau und überlegten. Serge war entschlossen, die Wohnung zu nehmen, ich hingegen wollte Bedenkzeit. Aber er bestand auf einer schnellen Entscheidung. »Sonst ist die Wohnung weg.« Er versuchte, mich für Aix zu begeistern, schwärmte von all den Touren, die wir in der Region machen könnten, vom Theaterfestival in Avignon, dem tollen Essen, vom Meer. Schließlich konnte ich nicht widerstehen und noch am selben Tag unterschrieben wir den Mietvertrag.
Im Sommer 1994 juckelten wir mit zwei vollgepackten Autos von Paris Richtung Süden, Serge, sein Cousin Patrick und ich. Aix-en-Provence begrüßte uns mit dreißig Grad im Schatten, aber es half nichts, wir mussten sofort auspacken, denn die Wagen versperrten die Altstadtgasse, in der unser neues Domizil lag. Niemand kam mehr durch. Neben all dem Kleinkram, der sich angesammelt hatte, war auch unser alter Bauernschrank mit umgezogen. Und wieder einmal standen wir ratlos mit ihm vor der Tür. Das Treppenhaus war so schmal und steil, dass er nicht durchpasste. Uns blieb nur der Weg durchs Fenster. Aber wie sollten wir einen Schrank zum ersten Stock hochhieven? Wir brauchten Hilfe, das war ganz klar, also lief ich an die nächste Straßenecke und heuerte zwei junge Männer an. »J’ai besoin de votre aide.« Ganz selbstverständlich kamen die beiden mit. Sie stiegen auf die Motorhaube unseres kleinen Kombis, stemmten den Schrank hoch zu Serge und Patrick, die am Fenster standen, und gingen dann gut gelaunt davon. Binnen fünf Minuten stand der Schrank an seinem Platz.
Doch das war erst der kleinste Schritt. Vor uns lag wieder einmal die Wohnungsrenovierung. Und die Rue Marcadet in Paris war nichts gegen die Rue St. Joseph in Aix. Am Umzugsabend war ich zu erschöpft, um genauer hinzuschauen. Am nächsten Morgen sah ich alles umso deutlicher. Das Appartement war unbeschreiblich versifft. Nur die kleine Wendeltreppe nach oben war hübsch, und der alte Kamin, der bis zur Decke reichte, ein Prachtstück. Um mir vorzustellen, was man aus dem Rest machen konnte, brauchte ich sehr viel Fantasie. Serge besorgte Croissants und kochte Kaffee, dann überlegten wir, was wir verändern wollten. Als Erstes warfen wir den ekligen Linoleumboden raus. Wir fuhren zum Baumarkt, kauften Werkzeug und Farbe und gingen an die Arbeit. Serges Freundin Suzanne versorgte uns täglich mit einer warmen Mahlzeit und begutachtete die Fortschritte. Wir verlegten neuen Holzfußboden, schliffen die Türen und Fenster ab und am Ende bekam alles einen neuen Anstrich. Ich lernte dabei enorm viel von Serge, der ein begnadeter Handwerker war. Er brauchte kaum Werkzeug dazu. Meistens reichte ihm sein kleines Messer, das er immer dabeihatte. Schließlich putzten wir auch den Balkon heraus, von dem aus wir über die Dächer der kleinen Straßen blickten, und bepflanzten ihn mit Blumen. Es war ganz niedlich, mignon, mignon . Suzanne meinte, wenn sie die Wohnung nicht mit eigenen Augen beim Einzug gesehen hätte, würde sie nicht glauben, dass es dieselbe sei. Sie hatte etwas von einem Liebesnest. Sie war wundervoll geworden und wundervoll wurde auch unser Leben darin.
Doch zuerst wurde ich richtig krank. Der Staub vom Renovieren hatte mir seit Wochen zugesetzt, aber ich hatte den Husten verschleppt. Das rächte sich nun. Ich bekam hohes Fieber und eine Bronchitis. Der Arzt verschrieb mir ein Antibiotikum, das nicht anschlug. So musste ich ins Krankenhaus, wo ich die nächste üble Diagnose hörte: Stirnhöhlenvereiterung. Mein Körper zeigte mir deutlich, dass ich mir zu viel zugemutet hatte. Ich brauchte lange, um wieder gesund zu werden. Eine Zeit lang sah es so aus, als könne ich meine nächste Rolle nicht spielen. Im Herbst 1994 war ich engagiert für das Drama Der tropische Baum von Yukio Mishima. Doch zum Probenbeginn war ich wieder fit. Die Regisseurin Petra
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