Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)
als gebe es keinen Anlass zur Sorge. Einmal lud er die ganze Familie ins Kasino nach Travemünde ein. Er wollte uns unbedingt in seine Welt mitnehmen, uns zeigen, was das Spielen für ihn bedeutete. Letztlich taten wir ihm den Gefallen. Das versteinerte Gesicht meines Vaters werde ich nie vergessen. Auch uns anderen war nicht wohl. Wir schauten all den Gestalten zu, die mit verkniffener Miene und roten Ohren an den Spieltischen saßen. Nach einer guten Viertelstunde wollte Michael schon wieder gehen: »Ich mache Schluss«, sagte er nur. Er hatte zehntausend Mark verloren. Das Schweigen im Auto auf der Rückfahrt dröhnt noch heute in meinen Ohren.
1996 wollte die Lufthansa Personal abbauen. Sie bot einer Reihe von Leuten hohe Abfindungen an, wenn sie freiwillig gingen.
Michael akzeptierte. Er machte eine große Reise, auf der er seine Leidenschaft noch einmal hemmungslos auslebte. Als das Geld verspielt war, sah er keinen Ausweg mehr. Seit 20 Jahren schon sagte er immer wieder, das Spielen sei sein Leben. »Wenn ich nicht mehr spielen kann, Püppi, dann interessiert mich die Welt nicht.« Lange Zeit hatte ich das nicht ernst genommen. Jetzt begriff ich, dass er am Ende war. Er konnte und wollte seine Sucht nicht bekämpfen, und wie jeder Suchtkranke, der nicht gesund werden will, war auch er nicht zu retten. Immer wieder telefonierte ich mit ihm und versuchte, ihn von seinem Entschluss abzubringen. Auch meine Mutter, die ihn regelmäßig sah, drang nicht zu ihm durch. Wir waren vollkommen hilflos. Im März 1997 kam mein Bruder nach Hamburg, um sich zu verabschieden. Mami und ich wussten, dies war das letzte Mal, dass wir ihn sehen würden, und Michael ließ keinen Zweifel daran. Wir wuchsen über uns hinaus, um diese Tage durchzustehen, Seite an Seite. Keine Woche nach seinem Besuch erhielten wir die Nachricht, dass Michael sich das Leben genommen hatte.
Wir beerdigten ihn auf dem Ohlsdorfer Friedhof, in unserem Familiengrab, wo schon meine Oma und mein Vater lagen. Jetzt ist Michael bei ihnen. Eines Tages werden wir dort alle wieder zusammen sein.
Meine Mutter so gebrochen in Hamburg zurückzulassen tat mir unendlich weh. Eigentlich sollte ich bei ihr sein, sagte mir mein Gewissen. In den folgenden Wochen und Monaten fühlte ich mich mehr und mehr zerrissen zwischen meinem Leben in Frankreich und der Sorge um Mami. Wenn wir telefonierten, merkte ich deutlich, dass sie allen Halt verloren hatte. Wie gern hätte ich sie einfach einmal in den Arm genommen. Doch ich war tausendfünfhundert Kilometer von Hamburg entfernt. Hinzu kam, dass meine Ersparnisse zusammenschmolzen und Serge es einfach nicht schaffte, regelmäßig genug zu verdienen. Ohne Kinder sei er nicht motiviert, sagte er. Sein Wunsch nach Kindern führte nun immer häufiger zum Streit zwischen uns. Eines Abends – ich sehe mich noch im Badezimmer stehen, er lehnte an der Tür – sprach ich es einfach aus: »Serge, ich glaube, das ist unser Ende. Wir müssen vernünftig sein. Ich muss zu Mami und sehen, wie es dort weitergeht. Und du musst endlich dein Leben leben und eine Familie gründen. Wenn du das versäumst, wirst du am Ende nicht glücklich sein. Wir müssen uns trennen und beide etwas Neues aufbauen.« Er fing bitterlich an zu weinen. »C’est un cauchemar«, ein Albtraum. Wir wollten zusammen sein, und doch war klar, dass unsere Zeit vorbei war. Eine Weile klammerten wir uns noch aneinander. Ich pendelte zwischen Aix und Hamburg und war nirgendwo mehr zu Hause. Als wir uns schließlich zur Trennung durchgerungen hatten, wollten wir noch einmal etwas Schönes zusammen erleben und fuhren nach Florenz. Wir liebten das Reisen und wollten uns ein letztes Mal beweisen, was wir füreinander waren. Aber der Schmerz ließ uns nicht los. Die Tage in Italien führten uns nur zu deutlich vor Augen, dass es nicht mehr wie früher war. Zu viel lag im Argen. Unwiederbringlich – so schien mir auch der Charme von Florenz, das ich 1983 besucht und als wunderschön in Erinnerung hatte. Jetzt sah ich nur noch Touristen, fand das Besondere der Stadt nicht mehr.
Jahrelang hörten wir nichts voneinander. Von einer gemeinsamen Freundin erfuhr ich, dass Serge geheiratet und zwei Kinder bekommen hatte. Zum Millennium rief er mich an, aber wiedergesehen haben wir uns erst 2011. Ich flog zu Modeaufnahmen nach Paris, wo er mittlerweile mit seiner Familie lebt. Wir trafen uns in einem Restaurant und musterten uns erst einmal, er meine schmale Gestalt und ich seinen
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