Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)
uns gegenseitig an. Auf jedem Treppenabsatz drohte ich loszulassen. Oben angekommen brachen wir beide weinend zusammen. Wie hatten wir es nur geschafft? Der Schrank bekam einen Ehrenplatz in unserer Wohnung und wir freuten uns an ihm, weil diese Geschichte daran hing. Heute steht der Schrank bei Serge. Für mich ist er ein Symbol dafür, wie wir zusammengelebt haben. Wir hatten eine Idee und haben einfach losgelegt, ohne viel nachzudenken. Serge zog mich mit und brachte mich dabei oft an meine Grenzen. Mit ihm wuchs ich über mich hinaus. Wir spürten zusammen eine Kraft, mit der wir fast Überirdisches erreichen konnten. Darum liebte ich ihn so. Serge sagte immer: »Pas de problème.« Er nahm die Dinge in die Hand und riss mich mit. Es gab nie ein Nein, immer nur: Machen wir! Selbst bei den kleinen Dingen im Alltag lief alles nach diesem Prinzip. Wenn ich in den Kühlschrank schaute und sagte: »Serge, il n’y a rien là dedans«, der ist so gut wie leer, dann guckte er sich die Reste an und hatte gleich eine Idee. Aus ganz wenig brutzelte er uns die leckersten Menüs und garnierte alles mit so viel Liebe, dass wir uns wie im Fünfsternerestaurant fühlten.
Unser großer Altersunterschied war lange Zeit ganz unwichtig, über Jahre wussten wir nicht einmal das Alter des anderen. Als wir uns 1988 kennenlernten, war ich zweiundvierzig, sah aber deutlich jünger aus. Serge dagegen wirkte trotz seiner siebenundzwanzig Jahre auf mich wie Mitte dreißig. Wir passten gut zusammen, niemand wunderte sich, wir selbst am allerwenigsten. Als ich jedoch erfuhr, wie jung er war, verheimlichte ich ihm mein Alter. Ich befürchtete, dass sich unser Leben dadurch verändern würde. Erst nach zwei, drei Jahren rückte ich mit der Wahrheit heraus. Da meinte Serge, nun sei es zu spät, jetzt interessiere ihn das nicht mehr. »Ça m’est égal, voilà.« Es spielte einfach keine Rolle – außer wenn es um Kinder ging. Serge wollte unbedingt welche und ich auf gar keinen Fall. Das hatte sich auch mit unserer Liebe nicht geändert. Ich schob vor, wir müssten etabliert sein, bevor wir Kinder in die Welt setzen könnten. So gewann ich Zeit. Ich hielt ihn hin, von Jahr zu Jahr, und führte ihn in die Irre. Und er blieb bei mir, für ganze neun Jahre. Hätte er keine Kinder gewollt und wäre kein Unglück passiert – wir wären heute noch zusammen.
Im Herbst 1989 wurde mein Vater sehr krank. Es war die Zeit, in der die Menschen in der DDR auf die Straße gingen und schließlich über Ungarn aus dem Ostblock flüchteten. Den Fall der Mauer erlebte Kurt übers Krankenhausradio mit. Für ihn als Berliner war die Öffnung der Mauer das Größte. Jetzt konnte er sterben. Er hatte einen Darminfarkt, und als meine Mutter und ich nach der Operation ins Krankenhaus kamen, erzählte uns der Arzt, was mein Vater ihm noch gesagt hatte: »Holn Se allet raus, was Se da rausholen können – wenn et jeht. Wenn et nich jeht, denn lassen Ses. Ick hatte ein schönes Leben.« Künstliche Ernährung, langes Siechtum, das hätte er niemals gewollt. Er starb so, wie er gelebt hatte: spontan und glücklich. Das half uns, seinen Tod zu akzeptieren. Wir haben nie wirklich getrauert, denn wir haben ihn ja immer noch bei uns. Jeden Tag erzählen wir von ihm, was er alles anstellte und wie unerschütterlich optimistisch er war. Mein Vater sah nur die positiven Seiten und er war es, der mir beibrachte, die Chancen des Lebens zu nutzen. Das war sein Credo. Allerdings hatte er oft nur sich im Blick. Im Gegensatz zu meiner Mutter, die bis heute für mich da ist und mich mein Leben lang liebevoll unterstützt hat. Von meinem Vater bekam ich viele intellektuelle Anregungen, doch ich hätte nie mit ihm zusammenleben können, wie ich es heute mit meiner Mutter tue. Meine Eltern waren so unterschiedlich, wie sie nur sein konnten, und für mich waren sie ein großes Glück. Ich habe mir von beiden das Beste ausgesucht. Wie ein Baum, der in der Mitte steht und alles aufnimmt, was er zum Gedeihen braucht. So bin ich: Aus dem, was man mir bietet, mache ich das Beste.
Im Frühjahr 1990 begannen die Proben zu Der kleine Horrorladen in Stuttgart, die ich ja nun von Frankreich aus bewerkstelligen musste. Am Anfang konnte ich bei meiner Regisseurin wohnen, die mich für das Stück engagiert hatte. Heidemarie Rohweder war selbst auch Schauspielerin und hatte eine Wahnsinnskenntnis vom Theater. Sie war die Regisseurin, die mich als Schauspielerin so gut kannte wie kein anderer. Sie
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