Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)
beim Bund damit angefangen, mit seinen Kameraden auf der Stube gezockt, Poker und andere Kartenspiele. Das war der Beginn seiner Passion, mit der er zwar immer offen umging, deren Macht wir aber erst am Ende wirklich erkannten.
Mein Bruder und ich waren schon als Kinder grundverschieden. Schiepchen war vorsichtig und klammerte sich an meine Mutter, ich war schon als kleines Mädchen draufgängerisch. Aber ich liebte meinen Bruder und er liebte mich. Ich war seine Püppi oder Pütze, wie er mich oft nannte, seine kleine Schwester, auf die er aufpasste und für die er alles getan hätte. Wenn mir jemand drohte oder wehtat, rief Schiepchen: »Den bring ich um!« In den Eppendorfer Jahren am Andreasbrunnen hielten wir zusammen wie Pech und Schwefel, wir hatten eine Bande und waren nicht aufzuhalten. Aber als wir älter wurden, zeigte sich deutlich, wie unterschiedlich wir das Leben anpackten. Michael ging zur Rudolf-Steiner-Schule und hatte – im Gegensatz zu mir – keine Schwierigkeiten beim Lernen. Nebenbei spielte er viel Theater, richtig gute Rollen, er wirkte in Hörspielen mit und sogar im Fernsehen. Zum Beispiel in Familie Schölermann , der ersten Familienserie, die damals, Mitte der Fünfzigerjahre, ausgestrahlt wurde. Noch dazu sah er gut aus und hatte Erfolg mit dem, was er tat. Aber er stürzte sich nie so bedingungslos und ehrgeizig in seine Arbeit wie ich in den Tanz. Er hatte keinen Traumberuf, auch mit zwanzig noch nicht, als er zur Bundeswehr ging. Er wusste nur eins: Er wollte nicht Schauspieler werden, obwohl er viel Talent besaß. Michael hatte zu oft auf das schwarze Telefon gestarrt. Um keinen Preis wollte er wie mein Vater auf das Klingeln angewiesen sein, auf die Gunst anderer Menschen, die sich von ihm abwenden können. Er wollte Sicherheit und entschied sich für eine Stelle bei der Lufthansa in Frankfurt, wo er den Einsatz der Piloten und Flugbegleiter organisierte und schon bald einen unbefristeten Vertrag bekam. Und doch gab es eine Kraft in ihm, die jede Sicherheit zerstören konnte: das Spielen, das im Laufe der Zeit zur Sucht wurde.
Es war ein schleichender Prozess, so sehe ich es im Nachhinein, und in unserer Familie schätzten wir ihn ganz unterschiedlich ein. Meine Mutter ignorierte lange Zeit die Gefahr, die vom Spielen ausging. Sie nahm Michael in Schutz: »Es kann doch nichts passieren, solange er seinen Job hat.« Ich selbst fand, Schiepchen müsse selbst entscheiden, wie er leben wolle. Aber er sollte aufpassen, dass seine Leidenschaft ihn nicht ins Verderben führte, dass er immer genug Geld übrig hatte, um sich den Exzess leisten zu können. Also keine Verpflichtungen. Ein Spieler darf keine Familie haben. Doch damit kam ich nicht an ihn ran, er ließ sich von mir nichts sagen. Höchstens von David, den er sehr verehrte. Der war in Las Vegas selbst hin und wieder ins Kasino gegangen und hatte genügend Spieler kennengelernt. Er wusste, wohin ihre Sucht sie brachte, und warnte Michael, dass er am Ende immer nur verlieren würde: »It’s always the bank that wins.« David war auch meiner Meinung: Ein Spieler dürfe niemanden mit hineinziehen in seine Probleme. Doch genau das tat mein Bruder. 1980 wurde seine Freundin schwanger und bekam Zwillinge. Michael spielte zu dieser Zeit schon viel und stürzte seine Familie bald in finanzielle Nöte. Ein paar Jahre später kam es zur Trennung, aber die Verantwortung für die Kinder blieb. Mein Vater war derjenige, der Michaels Sucht von Anfang an am schwersten ertrug. Für ihn bedeutete das Spielen eine Absage an alles, was er uns fürs Leben hatte beibringen wollen. Er empfand es wie einen Schlag ins Gesicht.
Mein Bruder ging bald in den größten Kasinos ein und aus, auch im Ausland, denn als Lufthansa-Mitarbeiter zahlte er fast nichts für ein Ticket. Er machte zwar keine Bankschulden, sondern sparte sein Geld für diese Ausflüge oder lieh sich etwas bei Freunden. Trotzdem sah mein Vater die Katastrophe auf uns zukommen. 1986 stand er plötzlich in Basel vor meiner Tür. Er hatte sich nicht einmal angekündigt, so dringend musste er mit mir reden. Nun saß er da in Hut und Mantel, über achtzig Jahre alt, und ich sah sofort, dass es ihm schlecht ging. Er bat mich, seine Ersparnisse in Sicherheit zu bringen. Mami sei viel zu unbesorgt: »Sie willet jar nich sehen, wat eenes Tajes passieren wird. Et wird keen Jeld mehr da sein, ick schwöret dir, det wird uns Haus und Hof kosten.«
Michael tat immer so, als habe er alles im Griff,
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