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Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)

Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)

Titel: Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eveline Hall , Hiltud Bontrup , Kirsten Gleinig
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Doch Serge war überhaupt nicht böse. »Ich trinke jetzt einen Liter Kaffee«, sagte er, »und dann komme ich zu dir.« Ohne zu schlafen machte er sich wieder auf den Weg und kam völlig übermüdet, aber heil in Wien an. Dieses Mal hatte ich ihm den Weg am Telefon beschrieben. Ich sehe noch heute sein Gesicht vor mir, wie er die Treppe heraufkam und mich in die Arme nahm. Bigi war sicher: »Ihr werds lang zusammenbleiben. Des garantier ich dir.« Sie sah, was für ein toller Junge er war. Keine Spur von Groll, keine schlechte Laune. Er war nur froh, mich wiederzuhaben, lud meine Sachen ein, die Möbel, meine Schallplatten, all meinen Kram, und dann fuhren wir zurück nach Paris. Zu Hause fielen wir wie tot aufs Bett und blieben einfach liegen. Zweimal Paris–Wien hin und zurück – und das ohne zu schlafen. Bei Serge ging gar nichts mehr und auch ich war nach der Nacht im Auto völlig erledigt. Noch heute erzählen wir uns diese Geschichte. Sie hat sogar einen Namen: »Aller–retour, aller–retour«.
    Endlich konnte ich die Wohnung einrichten, die von Tag zu Tag gemütlicher wurde. Bei den vielen Trödlern in unserem Viertel fand ich immer irgendetwas Schönes, was ich mit nach Hause brachte. Hier eine Schüssel, da einen Bilderrahmen, dort eine kleine Dose. Das tollste Möbelstück aus dieser Zeit ist eine alte Vitrine, die heute in meinem Wohnzimmer steht. Was uns schließlich noch fehlte, war ein Schrank. Den wollte ich uns von meinem Ersparten schenken, und Serge hatte gleich eine Idee, wo wir etwas Geeignetes finden würden. Er fuhr mit mir raus aus Paris und ein ganzes Stück über Land. Unterwegs machte er sein übliches Sprachtraining mit mir. Ich musste die Zahlen auf den Verkehrsschildern laut aufsagen: quatrevingtdix, quatrevingtdouze … Schließlich kamen wir in einen Ort mit vielen Antiquitätenläden links und rechts der Straße, brocante , wie es auf Französisch heißt. Den ganzen Tag stöberten wir in all den hübschen Sachen und am Ende fanden wir einen entzückenden alten Bauernschrank. Serge und der Verkäufer luden ihn aufs Dach des kleinen Peugeot, den wir von seinem Vater geliehen hatten, und verschnürten alles gut. »Parfait, on y va«, los gehts. Zurück über die Landstraße, zweihundert Kilometer bis Paris. Ungefähr auf halber Strecke sagte ich: »Serge, der Wagen fühlt sich ganz anders an als vorher. So leicht.« Als wir ausstiegen, war der Schrank verschwunden. Ich bekam sofort weiche Knie. Wenn er auf ein anderes Auto gefallen war … Ich stellte mir lauter schreckliche Unfälle vor und sah uns schon im Gefängnis sitzen. Uns blieb nichts anderes übrig, als umzukehren. Mittlerweile war es schon dunkel, wir konnten kaum den Randstreifen erkennen und fuhren im Schritttempo über die Landstraße. Keiner Sprach ein Wort, so saß uns die Angst in den Knochen. Auf einmal sah ich ihn! Da lag der Schrank mitten auf einer großen Wiese. Vollkommen unbeschädigt. Er musste bei einem starken Windstoß gerade durch die Luft gesegelt und wie ein Flugzeug aufgesetzt sein. Weder dem Möbel noch einem Menschen war irgendetwas passiert. Wir fielen uns in die Arme. Was für eine Erleichterung! Nun mussten wir den Schrank wieder aufs Autodach bekommen. Das war ein Problem, weil ich kurz zuvor eine kleine Knieoperation gehabt hatte und das Bein noch nicht richtig belasten konnte. Ich wollte das nächste Auto anhalten und den Fahrer bitten, uns zu helfen. Aber es kam kein Auto. Wir waren die Einzigen auf dieser gottverlassenen Straße. Schließlich bekam Serge mich doch dazu, mit anzufassen. Und nun tuckerten wir in Schrittgeschwindigkeit zurück nach Paris. Völlig erledigt, aber froh kamen wir spät nachts an. Erst da fiel uns ein, dass wir das Ding ja nun in den sechstenStock
befördern mussten. Daran hatten wir gar nicht gedacht – wie blauäugig! »Das schaff ich nicht, keine Chance mit meinem Knie!«, sagte ich zu Serge. – »In Ordnung, dann lassen wir ihn hier stehen. Da wird sich ein anderer freuen. Morgen früh ist der weg. Das ist doch klar, hier in Paris.« Ich weigerte mich eine Weile standhaft, mit anzupacken, sah mich nicht in der Lage, den Schrank nach oben zu schleppen. Aber auch diesmal kriegte Serge mich rum. Ich mobilisierte alle Kräfte, tat intuitiv das, was mein Körper über Jahre gelernt hatte, und belastete beim Tragen nur die Arme. Ich ließ die Beine quasi weg, wie unter Hypnose. Stufe für Stufe hievten wir das Ding die kleine, eng gewundene Treppe hoch und schrien

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