Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)
lange genug und glaubte fest, dass ich den Job gut machen würde. »Du bist wie Wachs in meinen Händen«, sagt er oft. »Du bist so gedrillt, dass ich alles aus dir herausholen kann.« Er weiß genau, wie ehrgeizig ich bin. Deshalb nennt er mich Frau Holle – wie das Märchen. »Hall und Holle klingt fast gleich. Und alles, was wir zusammen anfassen, wird zu Gold.« Davon war Ted auch jetzt überzeugt und so informierte er die Zeitungen: Fünfundsechzigjährige Tänzerin auf dem Catwalk bei Michalsky. Noch vor der Schau erschienen die ersten Berichte.
Als mir klar wurde, wie bombastisch die StyleNite sein würde, bekam ich richtiggehend Panik. Vielleicht hatte ich mich doch übernommen. Um mich herum sah ich nur junge Mädchen, ich passte doch gar nicht hierher! Dass mit mir auch Pat Cleveland auftreten würde, mit Ende fünfzig eine Schönheit und um 1970 die »Queen of Catwalk«, das nahm ich kaum wahr. Auch dass die jungen Mädchen mir mit Hochachtung begegneten, bemerkte ich nur wie durch dichten Nebel. Ich hatte blanke Angst. Angst zu versagen, mich zu blamieren. Junge Mädchen dürfen scheitern, das macht nichts, sie haben noch so viele Chancen. Ich hatte nur diese eine. Was, wenn die Leute nachher sagten: »Warum nimmt der auch so eine Alte? Ist ja klar, dass die nichts kann.«
Wir mussten anprobieren, was wir am Abend vorführen sollten, und damit vor Michalsky treten. Er sagte dann: »Hier enger, da kürzer«, und zu mir persönlich noch: »Dass du mir keine Schande machst!« Er meinte es charmant, doch die Verantwortung erdrückte mich fast. Jetzt bloß nichts falsch machen! Dass ich in meinem Leben schon vieles gut gemacht hatte, war mir in dem Moment nicht mehr bewusst. Beim rehearsal, dem Probelauf, kritisierte Ted mich obendrein: »Lauf nicht so, lauf anders, halte den Kopf aufrecht …« Wenn ich ihn lächerlich machte! Er hatte sich so für mich eingesetzt, ich musste beweisen, dass ich sein Vertrauen verdiente. Es war immer dasselbe: So dankbar ich war für die großen Chancen meines Lebens, so sehr verlangte ich mir ab, die Erwartungen zu übertreffen. Mir schwirrte der Kopf und um mich herum schwirrte es auch. Stylisten, Friseure und Visagisten föhnten und zupften an mir herum, oft mehrere gleichzeitig. Alle liefen durcheinander, verteilten Schmuck und Schuhe. Es herrschte die typische Backstageatmosphäre: Alle konzentrieren sich auf ihre Aufgabe und schauen weder rechts noch links. Ein irrer Aufwand für eine halbe Stunde Show! Draußen füllte sich das Tempodrom. 1200 Leute gingen über den roten Teppich, Fotografen riefen die Namen der Models, Stars und Sternchen, die dort posierten – Franziska Knuppe, Katarina Witt, Sabine Christiansen, Udo Walz.
Michalskys Kollektion hieß Urban Nomads und wirkte entsprechend futuristisch. Mich steckten sie in einen dunklen Overall, dazu trug ich einen langen Parka und kniehohe schwarze Lederstiefel. Die Haare türmten sie uns Models zu einer breiten Tolle auf, die lang in den Nacken hinunterfiel. Die Plätze füllten sich, in den ersten Reihen saß die ganze deutsche Modeprominenz, Designer und Journalisten. Wenn ich das jetzt vermassle, sind wir geliefert, dachte ich.
Doch als es losging, sprach eine andere Stimme in mir: Nun zeig mal, was du dein Leben lang gelernt hast. Eveline, der Profi, kam wieder durch, ganz automatisch, trotz aller Aufregung. Und dann lief ich los, auf den Catwalk hinaus und geradewegs auf die Fotografen zu. Dort vorn verspürte ich einen Impuls: Bevor ich meinen Rückweg antrat, machte ich ein paar Tanzschrittchen, nur angedeutet mit den Füßen. Ich wollte etwas von mir zeigen, Bewegung und Ausdruck einbringen. Ich schaute auch nicht ins Leere wie all die jungen Kolleginnen, ich sah die Menschen an. Selbst wenn ich im Gegenlicht wenig erkannte, nahm ich Kontakt zu den Leuten auf, wie ich es jahrelang im Theater geübt hatte. Unten im Publikum saß der Modedesigner Guido Maria Kretschmer. »Für mich war es ein heiliger Moment«, sagte er später. »Bei Eveline spürt man, da kommt eine Frau mit einer Geschichte. Sie hatte etwas ganz Warmes und das hat mir gefallen.« Und Jessica Weiß und Julia Knolle von LesMads, Deutschlands bekanntestem Modeblog, schrieben: »Zum heimlichen Star avancierte die Schauspielerin Eveline Hall, die grazil über die Bühne schritt und den Jungspunden ordentlich Konkurrenz machte.« Es war einfach mein Abend. Ich dachte erleichtert: Du musst nur du selbst sein. Hol einfach aus der Schublade,
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