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Ich träume deutsch

Ich träume deutsch

Titel: Ich träume deutsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nilgün Tasman
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doch kein Papa geworden“, sagte ich und hoffte, dass Helene endlich aufhören würde zu weinen. Aber sie weinte noch mehr als vorher. Ich stand auf, weil ich dachte, es sei besser zu gehen, aber da hielt Helene meine Hand fest und fragte mich, ob sich meine Eltern auch oft streiten würden.
    Jetzt musste ich aufpassen, was ich sagte, weil wir mit niemandem darüber sprechen sollten. Nicht mal die Freundinnen von Anne durften davon erfahren, weil das nicht gerade etwas war, worauf man stolz sein konnte, sagte Annem immer.
    |135| „Ja, manchmal, aber nicht so oft, nur ab und zu“, sagte ich.
    Da erzählte Helene, dass ihre Eltern sich immer stritten, und dass ihr Papa sie und ihre Mama oft verprügelte. Helene fing wieder an zu weinen.
    „Das glaube ich nicht!“, fuhr ich auf.
    „Deutsche Männer schlagen ihre Frauen nicht!“ Helene nickte nur und fing wieder an zu weinen. Sagte sie mir die Wahrheit? Aber das konnte doch gar nicht sein, deutsche Männer waren doch viel lieber als türkische und außerdem trug Herr Schäufele immer einen Anzug und eine Krawatte. Er war doch ein wichtiger Mann im Büro. So einer prügelte doch nicht seine Frau und seine Tochter!
    „Meine Mama will sich scheiden lassen, aber der Pfarrer hat es ihr verboten“, erzählte Helene. Die Großeltern wollten Helene und ihre Mama zu sich holen. Ihre Großeltern wohnten aber weit weg, in einem schwarzen Wald, oder so ähnlich.
    Die Kirche wollte nicht, dass sich Mann und Frau trennten, weil sie Gott versprochen hatten, bis in den Tod zusammenzubleiben.
    Einmal hatte Herr Schäufele seine Frau und Helene in den Keller gesperrt. Nur weil ihre Mama zu viel telefoniert hatte. Ich bekam immer mehr Angst und wollte nach Hause.
    Zum Glück hatten wir kein Telefon, aber wir hatten ja auch keinen Keller. Ich glaube, Baba hätte uns nie eingesperrt.
    Ich war so enttäuscht und traurig über all das, was mir Helene erzählt hatte. Ich verabschiedete mich von ihr und rannte nach Hause. Ich konnte das alles einfach nicht glauben! Mein Baba lag noch im Bett und schlief. Ich zog seine Bettdecke vorsichtig weg, um ihn aufzuwecken.
    |136| „Nilgün, ne oldu, was ist passiert?“, fragte er erschrocken.
    „Es ist nichts passiert. Baba, hast du mich lieb?“
    „Eşoleşek, deshalb weckst du mich auf?“
    Baba zog die Decke über den Kopf und schlief weiter.
    Ich setzte mich ans Fenster und sah, dass Helene immer noch auf den Stufen saß. Meine arme Freundin Helene, wie konnte ich ihr nur helfen? Vielleicht sollte ich einfach mit Gott sprechen und ihm sagen, dass er die Erlaubnis für die Scheidung geben sollte. Aber da müsste ich ja zum Pfarrer gehen, nur er konnte die Erlaubnis für die Scheidung geben, denn er war ja der Einzige, der wirklich Kontakt zu Gott hatte.
    Am Abend erzählte ich alles meiner Anne.
    Ich wollte Helene und ihrer Mama unbedingt helfen.
    „Kızım, wer soll uns denn helfen? Uns geht es doch auch nicht besser“, sagte Annem.
    Sie erzählte, dass eine Scheidung nach dem Koran nur dann erlaubt sei, wenn der Mann nicht für die Frau sorgen würde. Aber das Schlimmste an einer Scheidung war, dass die Ehre einer Frau damit einen schwarzen Fleck bekam. Eine geschiedene Frau würde man in der Gesellschaft nicht akzeptieren, und ihre Kinder müssten auch darunter leiden. Wie bei Birsen Teyze.
    Deshalb konnte sich Annem also nicht von Baba scheiden lassen. Sie wollte unsere Ehre damit schützen! Meine Anne musste wegen uns leiden. Sie tat das alles nur wegen meiner Schwester und mir. Tot wollte ich sein, einfach nicht da sein, dann hätte meine Anne keinen Grund mehr, bei meinem Baba zu bleiben, und sie müsste nicht leiden. Alle Väter waren gleich. Eigentlich sollte es nur Mütter geben, dachte ich, traute mich jedoch nicht, mit Allah und mit Gott darüber zu reden. Schließlich wollten beide nicht, dass sich Mütter von ihren Männern trennen.
    |137| Am nächsten Morgen begegnete ich Herrn Schäufele. Ich drehte gleich meinen Kopf auf die Seite und machte einen großen Bogen um ihn.
    „Na, ist es noch zu früh zum Grüßen oder was?“, rief er hinter mir her.
    Ich gab ihm keine Antwort und meine Beine liefen ganz schnell weiter.
     
    Ein paar Tage später erzählte Helene, dass sie mit ihrer Mama zu ihren Großeltern ziehen würde. Ihre Großmutter hätte sie dort schon in der Schule angemeldet. Helene war sehr glücklich darüber, weil ihre Großeltern einen Bauernhof und einen Traktor hatten. Sie könnte dann immer mit ihrem Opa

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