Ich träume deutsch
verspreche ich dir!“
Anne nahm uns gleich am nächsten Tag mit zur Arbeit. Sie wollte uns unbedingt ihrem Chef vorstellen, der ihr das Geld für uns gegeben hatte und Baba eine Arbeit in der Nachtschicht besorgt hatte.
Wir zogen unsere schönsten Kleider an, und Anne war ganz stolz auf uns. Sie klopfte an die Tür seines Büros und wir durften eintreten.
Der Mann sah lustig aus. Er hatte einen dickeren Bauch als mein Baba und ganz wenig Haare auf dem Kopf.
„Na? Euch beide hätte ich auch vermisst. Kein Wunder, dass eure Mutter so traurig war“, sagte er freundlich und beugte sich zu uns herunter.
„Ich bin Werner Boehringer und wie heißt du?“ „Mine, und das ist meine kleine Schwester Nilgün.“
„Na, Mine kann ich mir noch merken, aber mit deinem Namen wird es schwierig“, sagte er.
Wir bedankten uns für alles und schenkten Werner eine Schachtel Pralinen aus der Türkei.
Einige Tage später ging Mine wieder in ihre alte Klasse. Die Lehrerin nahm sie sogar in die Arme vor lauter Freude.
Annem verließ das Haus jetzt immer erst dann, wenn Baba von der Arbeit nach Hause kam.
|127| Ich blieb mit Tekir zu Hause und musste leise sein, weil mein Baba die ganze Nacht arbeitete und tagsüber schlief. Aber bald durfte ich ja in die Schule gehen, wie meine Abla.
Tekir war alt geworden und lag den ganzen Tag faul auf dem Teppich. Es war sehr langweilig in Deutschland. Ich dachte oft an meinen Freund Yalcin, an meine Babaanne, an die Hochzeit von Mahmut Ağas Sohn und an die Spiele mit meinem Yalcin. Ich vermisste Alaca, obwohl ich auch froh war, wieder bei meiner Anne zu sein. Wir wollten sowieso bald für immer zurückgehen, und Alaca war ja nicht so weit von Istanbul entfernt wie von Deutschland. Dann würde ich meinen Freund und Babaanne ganz oft besuchen.
Giuseppe und Paola waren sehr aufgeregt, als sie uns das erste Mal wiedersahen. Sie freuten sich so sehr, dass sie Ablam und mir sogar Geschenke machten. Meine Freundin Helene war leider bei unserer Ankunft nicht da. Sie war mit ihren Eltern nach Italien gefahren und kam erst nach ein paar Tagen zurück.
Sogar der deutsche Metzger hatte mich vermisst und gab mir eine ganz dicke, fette Scheibe Schweinewurst!
Die Freunde von Anne und Baba kamen, um uns zu begrüßen, und alle brachten irgendwelche Geschenke mit. Es war fast so schön wie an Bayram.
Nachdem wir uns schon wieder ein bisschen eingelebt hatten, kam Helene aus den Ferien zurück, und ich rannte hinunter, um sie zu begrüßen. Wir standen uns gegenüber und lachten. Helene nahm meine Hand und drückte sie ganz fest. Ihre Mama begrüßte mich auch, aber Herr Schäufele schüttelte nur den Kopf und räumte die Koffer aus seinem Auto.
Manchmal saß ich am Fenster und hatte Angst, dass meine |128| Anne nicht mehr von der Arbeit zurückkommen würde, dass ihr vielleicht etwas passieren könnte.
Ich wachte auch oft nachts weinend auf, weil ich schlimme Träume hatte. Meine Anne brachte mich sogar mit Birsen Teyze zum Arzt. Tante Birsen konnte gut deutsch sprechen und übersetzte alles, was der Arzt sagte.
Ich hätte Verlustängste und müsste mich erst wieder an die neue Situation gewöhnen, erklärte er. Der Arzt war sehr nett und gab mir Traubenzucker. Aber Traubenzucker schmeckte wie süßes Mehl. Da war mir der braune Kandiszucker von Babaanne viel lieber.
Der lang ersehnte Schulbeginn
Ich war sieben Jahre und acht Monate alt. Eigentlich hätte ich schon längst in die Schule gehen müssen. Babaanne hatte mich nicht geschickt, weil ich noch so klein und dünn war.
Ich war froh, in Deutschland in die Schule zu kommen. In Alaca bekamen die Kinder keine Schultüten, die mit Süßigkeiten gefüllt waren.
In den Sommerferien konnten wir zum ersten Mal nicht in die Heimat fahren, weil Baba wegen seiner neuen Arbeit immer noch keinen Urlaub bekam. Ablam und ich waren von morgens bis abends draußen spielen. Manchmal durften wir sogar ins Freibad, aber nur wenn Giuseppe und Paola dabei waren. Helene durfte nie mitgehen. Ihre Mama hatte Angst, dass sie ertrinken könnte. Ablam und ich konnten schon lange schwimmen. Das hatten wir in unseren Sommern in Istanbul gelernt.
|129| Anne ließ uns jeden Tag Geld da, damit wir uns ein Eis kaufen konnten. Mein Baba kam von der Arbeit, legte sich gleich auf das Sofa und wollte seine Ruhe haben. Mine und ich spielten manchmal absichtlich ganz laut. Dann gab Baba uns Geld und schickte uns noch ein Eis kaufen. Er hatte seine Ruhe und wir
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