Ich uebe das Sterben
viel Energie in ihm steckt. Ich bin auf dem Weg zur Arbeit und möchte gerade das Firmengebäude betreten, als ich eine Schockabgabe erhalte. Wenn ich mich gerade bewege, ist diese nicht nur sehr überraschend, sondern auch schmerzhaft. Mit einem lauten Schrei sinke ich zu Boden. Die Kollegen kommen herbeigestürmt, bringen mir Decken. Kurze Zeit später höre ich das Martinshorn des Krankenwagens, den man gerufen hat.
Ich lande in der Notaufnahme des Städtischen Klinikums Darmstadt. Dort kennt man mich glücklicherweise und lässt mich nach einer Infusion und nur wenigen Stunden Aufenthalt wieder nach Hause gehen.
In der Firma hat dieses Ereignis jedoch eine große Veränderung herbeigeführt. Ich merke, dass mir die Kollegen mit Angst begegnen, und fühle mich von vielen ausgegrenzt. Ich halte mich an die Menschen, die mir Kraft geben, wie meine Kollegin Anja und natürlich Harald. So bleibt der Job für mich ein positiver Lebensinhalt.
Das sportliche Ziel, den Ironman zu absolvieren, habe ich mir erst mal abgeschminkt. Ich will mir keinen Druck machen, möchte einfach das Leben genießen. Sport verliert im Jahr 2001 für mich an Wichtigkeit. Ich mache keinen einzigen Wettkampf und laufe nur ab und an. Auch Harald ist in diesem Jahr sportlich nicht so aktiv.
Lediglich im Mai fahren wir gemeinsam zum Marathon nach Würzburg und zwei Wochen später zum Rhein-Ruhr-Marathon in Haralds alter Heimat. Harald läuft, während ich die Veranstaltungen als Zuschauerin miterlebe.
Ansonsten genießen Harald und ich den Sommer, sitzen mit Freunden im Biergarten, sporteln ohne Druck, machen Urlaub an der Nordsee und bei Haralds Mama. Wir sind einfach froh, ein scheinbar ganz normales Leben zu führen.
Doch bevor dieser losgelöste Sommer ganz vorbei ist, drängt sich der Defibrillator wieder in meinen Alltag. Eine Schockabgabe am 1. September und zwei am 5. September sorgen dafür, dass ich stationär in der Kerckhoff-Klinik aufgenommen werde.
Der Oberarzt will mir etwas Gutes tun und organisiert ein Einzelzimmer auf der Privatstation für mich. Es geht mir schlecht, denn ich bin total kraftlos. Die sonnige Sommerstimmung geht nahtlos in eine Herbstdepression über.
Verschlimmert wird die Situation dadurch, dass ich am 18. September eine Änderungskündigung erhalte. Sprachlos starren Harald und ich auf das Schreiben meines Arbeitgebers. Ganz offensichtlich hat man sich das Ausmaß meiner Erkrankung inzwischen bewusst gemacht, und die Defi-Aktion vor der Firma hat anscheinend gravierende Spuren hinterlassen. Hinzu kommen die Fehlzeiten aufgrund des Brugada-Brugada-Syndroms. Ich bin am Ende, zerstört, handlungsunfähig.
Doch auch jetzt gebe ich die Hoffnung wieder einmal nicht auf. Stattdessen bewerbe ich mich für einen Job beim Veterinäramt in Göppingen. Ausgerechnet der so ungeliebte Behindertenausweis verhilft mir zu meiner neuen Stelle. Schließlich sind besonders Ämter dazu verpflichtet, Menschen mit einem Behindertenstatus zu beschäftigen. Das erscheint mir zwar paradox, aber ich bin froh, nicht arbeitslos zu werden.
Nicht leicht fällt es mir, dass ich bald eine Fernbeziehung mit Harald führen muss. Aber nicht nur aus diesem Grund wollen wir seinen Geburtstag am 28. September noch einmal richtig schön feiern.
Wir haben allerdings nicht mit Ted gerechnet, der sich just an diesem Tag wieder einmal meldet. Mit seiner Schockabgabe erinnert er uns daran, dass das Leben manchmal eine echte Herausforderung ist. So feiern wir doppelt: Haralds sechsunddreißigsten Geburtstag – und meinen soundsovielten.
Bald beginne ich, Kisten für den Umzug zu packen, wenngleich sich die Wohnungssuche als schwierig gestaltet. Da ich noch immer keine Wohnung gefunden habe, werde ich zur Überbrückung erst einmal in ein Hotel ziehen.
Im Umzugsgetümmel geht eine erneute Schockabgabe am 9. November fast unter. Ich bin zu müde, um gegen Ted zu kämpfen, selbst zu müde, um an seiner Seite zu kämpfen. Ich ignoriere ihn einfach und sehe einer neuen Zukunft in Göppingen optimistisch entgegen.
Anfang Dezember starte ich frühmorgens mit einer erneuten Schockabgabe in den neuen Job beim Veterinäramt. Der Beginn des neuen Lebens im Schwabenland steht wohl unter keinem guten Stern.
Basti
N achdem ich endlich eine Wohnung in Göppingen gefunden habe, hilft mein Paps mir dabei, sie zu renovieren. Noch vor Weihnachten kann ich in meine neue, gemütliche Behausung im Schwabenland einziehen. Sie hat einen großen Vorteil gegenüber
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