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Ich uebe das Sterben

Titel: Ich uebe das Sterben
Autoren: Gritt Liebing
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EKG -Streifen und diskutieren. Mich beachtet kein Mensch. Wahrscheinlich würde es nicht mal auffallen, wenn ich einfach aufstehen und gehen würde.
    Ungefähr zwanzig Minuten später ist der Kellerschlüssel endlich in der Notaufnahme angekommen, und es dauert dann auch nicht mehr lange, bis gleich zwei Auslesegeräte auftauchen. Fragende Blicke und Achselzucken bei den Halbgöttern in Weiß. Glücklicherweise kann wenigstens ich für Aufklärung sorgen, denn ich kenne das richtige Gerät.
    Die Ärzteschar schafft es dann tatsächlich, meine Kammerflimmer-Episode vom Morgen auszudrucken. Sie sind völlig fasziniert von der wunderschönen spindelförmigen Torsade, die auf dem Ausdruck zu sehen ist. Um mich kümmert sich weiterhin niemand.
    Als zwei der Ärzte plötzlich die Idee haben, meinen Defi umzuprogrammieren, werde ich allerdings aktiv. Niemand programmiert hier etwas um. Da vertraue ich ausschließlich den mir bekannten Ärzten.
    Prompt verlässt die versammelte Ärzteschar die Notaufnahme, in den Händen – wie eine Trophäe – meine ausgedruckten EKG -Streifen. Und ich bleibe ein weiteres Mal unbeachtet liegen.
    Ich entferne die Klebeelektroden selbst und streife meinen Pullover wieder über. Ich erhalte wortlos meinen Defi-Ausweis und einen Brief für den Hausarzt.
    Harald und ich sind froh, dass wir das Gebäude wieder verlassen können. So wenig Menschlichkeit habe ich bisher noch in keiner Klinik erfahren. Vor allem steht es im krassen Gegensatz zum Umgang mit Patienten in der Kerckhoff-Klinik.
    So schnell wie möglich gehen Harald und ich in Richtung Parkhaus und fahren zurück nach Gladbeck, um wenigstens noch ein bisschen Weihnachten zu feiern.
    Direkt nach den Weihnachtsfeiertagen machen Harald und ich uns auf den Weg nach Garmisch-Partenkirchen. Meine Eltern haben uns Eintrittskarten für das traditionelle Skispringen am Neujahrstag geschenkt und ein Zimmer in einem idyllisch gelegenen, sehr gemütlichen Hotel in der Nähe des Klosters Ettal gebucht. Die Schneelandschaft ist traumhaft, und auch das Wetter lässt nichts zu wünschen übrig.
    Am Tag nach unserer Ankunft machen wir einen Ausflug zur Zugspitze. Der Blick vom Gipfel dieses Berges ist überwältigend. Die Welt erscheint von dort oben endlos und gleichzeitig doch begrenzt. Ich bin dem Himmel so nah, dass ich denke, ich könne das Blau greifen, wenn ich nur die Hand ausstrecken würde. Ich bin glücklich und denke weder an Herzrhythmen noch an Ted.
    Den letzten Abend des Jahres 2000 verbringen Harald und ich bei Kerzenschein und einem sehr leckeren Fünf-Gänge-Menü im Restaurant unseres Hotels. Um Mitternacht nehmen wir eine Flasche Sekt und viele bunte Raketen, packen uns in warme Kleider und stellen uns auf eine große, einsame, verschneite Wiese am Fuße eines Berges.
    In der Ferne hören wir das Glockenläuten des Klosters. Die verschiedenen Farben unserer Raketen zaubern eine einzigartige Stimmung in die dunkle Nacht, und ein sternenüberfluteter Himmel über uns verzaubert uns für eine gute Stunde.
    Am nächsten Tag sehen Harald und ich uns einen tollen Skisprung-Wettbewerb bei strahlend blauem Himmel und Sonnenschein an. Ich bin ein begeisterter Anhänger dieser Sportart; die Faszination der durch die Lüfte segelnden Männer in bunten Anzügen nimmt mich immer wieder gefangen.
    Als wir am Tag darauf die Heimreise antreten, habe ich das Gefühl, Kraft für alle Hürden des Lebens gesammelt zu haben. Ich habe regelrecht Energie getankt.
    In manchen Momenten spukt wieder der Gedanke an eine Teilnahme am Ironman durch meinen Kopf. Diese Geistesblitze werden jäh unterbrochen von drei Blitzen, die meinen Körper durchzucken: am Vormittag des 10. Januars und zweimal in der Nacht zum 11. Januar. Ich bin am Ende – körperlich und mental.
    Als ich am Morgen des 11. Januars in der Kerckhoff-Klinik eintreffe, bin ich ein wahres Häufchen Elend, nichts weiter als eine schlaffe, über ein Vakuum gestülpte menschliche Hülle. Meine Akkus sind leer, und mein Körper ist müde.
    Helfende Hände, freundliche Blicke und bekannte Gesichter begegnen mir einmal mehr in der Kerckhoff-Klinik. Ich finde in all dem Chaos des Klinikalltags auf der Überwachungsstation meine kleine Oase. Egal, wer oder was neben mir piepst, klingelt, blubbert oder sonstige Geräusche von sich gibt – ich kann hier Ruhe finden, fühle mich gut aufgehoben. Die Angst vor dem Überlebenskampf schwindet wieder dahin.
    Aber schon am 21. Januar beweist Ted noch mal, wie
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