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Ich uebe das Sterben

Titel: Ich uebe das Sterben
Autoren: Gritt Liebing
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sehr gute Stimmung für einen noch besseren Zweck: Bei dem Lauf handelt es sich um eine Benefizveranstaltung für an Multipler Sklerose erkrankte Menschen. Jeder Kilometer zählt.
    Nach dem Lauf steuern Harald und ich unser Hotel, das direkt am Meer liegt, an. Das Hotel amüsiert uns durch seine merkwürdige Einrichtung – das Highlight ist ein Ledersofa in knalligem Mint –, aber wirklich gemütlich ist es dort nicht. Wir halten uns aber sowieso nicht lange dort auf, sondern genießen lieber die Umgebung und unternehmen einen kleinen Spaziergang am Strand.
    Als wir die Heimreise antreten, haben wir die Bäuche voll mit fetten holländischen Pommes mit noch fetterer Mayonnaise. Wieder ein rundum gelungenes Wochenende!
    Ende September machen Harald und ich gemeinsam mit unseren Arbeitskollegen Anja und Joachim einen sportlichen Ausflug in die Eifel. Wir starten alle beim »Lauf durch die grüne Hölle« auf dem Nürburgring.
    Mit Joachim und Anja walke ich neun Kilometer, während Harald dreiundzwanzig Kilometer läuft.
    Harald und ich starten zusätzlich noch beim Schnupperlauf. Während des viereinhalb Kilometer langen Laufs empfinde ich die sportliche Betätigung gar nicht als so anstrengend, obwohl ich schon deutlich an die Grenzen meiner Belastbarkeit gehen muss. Im Ziel aber bin ich total platt und sehr kurzatmig. Ich gebe keine gute Figur ab, kann der Belastung kaum standhalten.
    Die Regeneration nach diesem Wochenende dauert ziemlich lange.
    Ende Oktober werde ich von der Firma Guidant völlig überraschend zur Eröffnungsfeier ihres Schulungszentrums in Brüssel am 8. November eingeladen, um dort einen kurzen Vortrag zum Thema Patienten und Selbsthilfegruppen mit implantiertem Defibrillator zu halten.
    Mit der Firma Guidant verbindet mich nicht nur, dass sie Ted hergestellt hat, sondern auch, dass ich alle Informationen rund um den Defibrillator bei ihr erhalte. Davon mache ich auch regelmäßig Gebrauch, und daher bin ich bei Guidant schon recht bekannt.
    Bei meinem Vortrag soll es vor allem darum gehen, den Anwesenden bildhaft vor Augen zu führen, wie viel Lebensqualität ein Produkt ihrer Firma geben kann. Dafür bin ich der allerbeste und lebendigste Beweis.
    Die geladenen Gäste sind ein ausgewählter Kreis von Europas besten Kardiologen. Des Weiteren sprechen die wichtigsten Manager der Firma Guidant. Ein wenig verloren fühle ich mich schon im Kreise dieser »großen« Männer. Aber bereits beim Mittagessen ist meine erste Scheu verflogen, und ich unterhalte mich prächtig.
    Als ich nachmittags meine kleine Präsentation zeige, ist mein Kopf vor Aufregung rot wie eine Tomate. Aber eigentlich fühle ich mich wohl im Kreis dieser interessanten und freundlichen Menschen.
    Nach meiner Präsentation stürmt Joseph Brugada – einer der Brüder, nach denen meine Erkrankung benannt ist – auf mich zu. Er ist begeistert – ob von mir persönlich, der Präsentation oder der Tatsache, dass ich am Brugada-Brugada-Syndrom leide, weiß ich nicht genau. Ich denke, es ist eine Kombination aus allem. Jedenfalls habe ich die Möglichkeit, mich mit Herrn Brugada zu unterhalten. Ich empfinde es als ein Geschenk, mit dem Experten der Experten für meine Krankheit über diese zu reden. Wer hat schon jemals so eine Chance?
    Zudem ist Herr Brugada ein ausgesprochen lustiger Mensch, der immer einen lockeren Spruch auf den Lippen hat und mit dem ab und zu sein spanisches Temperament durchzugehen scheint. Davon werde ich Zeuge, als wir uns verabschieden: Er hebt mich hoch und drückt mir links und rechts einen Schmatzer auf die Backen. Ein wahrhaft erinnerungswürdiges Erlebnis!
    Als ich im Flieger nach Frankfurt sitze, fühle ich mich selbstbewusst und glücklich. Ein rundherum tolles Erlebnis liegt hinter mir. Und ich fühle mich so unglaublich lebendig, wie seit Langem nicht mehr …
    Kurze Zeit nach diesem äußerst positiven Erlebnis habe ich erneut eine Begegnung mit dem Tod: Meine Freundin Eri erliegt am 23. November ihrem Krebsleiden.
    Doch dem Tod kann man nicht entkommen. Er hat eigene Gesetze, die mir bis heute im Verborgenen bleiben. Er ist eiskalt, grausam und sinnlos.
    Auch wenn Eris Tod nicht überraschend kommt, überrollt er mich. Mit diesem Ereignis tritt der Tod mit all seiner Härte in mein Leben, und ich spüre seinen Atem ständig im Nacken. Trauer, Wut, Angst und Verzweiflung führen bei mir schließlich zu einer Resignation. Ich fühle mich kraftlos und machtlos, sehe keinen Sinn mehr im Kampf gegen
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