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Ich uebe das Sterben

Titel: Ich uebe das Sterben
Autoren: Gritt Liebing
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den Sensenmann.
    Und er belauert mich wirklich. Ted kommt richtig zum Einsatz: Eine erste Schockabgabe ereilt mich am 30. November, gefolgt von Abgaben am 5., 8., 14. und 20. Dezember. Immer wieder bin ich für einige Tage in der Bad Nauheimer Kerckhoff-Klinik. Ich fühle mich leer und stürze scheinbar haltlos dem Tod entgegen.
    Den Heiligen Abend möchten Harald und ich in diesem Jahr bei seiner Mama in Gladbeck feiern. Doch Ted und der Tod haben keinen Respekt vor mir oder Weihnachten.
    Um zehn Uhr neun bekomme ich erneut eine Schockabgabe. Harald hält dabei meine Hand, und ich bin bei völlig klarem Bewusstsein. Der bekannte Hornissenschwarm nimmt Besitz von meinem Körper, die Luft wird knapp, und dann bäume ich mich kurz auf, als Ted seine lebensrettenden einunddreißig Joule durch meinen Körper jagt. Dies alles geschieht innerhalb weniger Sekunden, und dennoch fühle ich mich, als hätte ich stundenlang schwerste Arbeit verrichtet. Dabei ist Ted es, der seine Arbeit macht. Ich bin nur Statist. Ich sinke nieder, stumm und lautlos.
    Wir beschließen, die nahegelegene Klinik in Essen aufzusuchen. Diese Idee gehört wohl zu den schlechtesten, die ich je hatte. Was wir dort erleben, lässt uns einfach nur sprachlos, erschreckt und erstaunt zurück.
    Schon an der Pforte scheint man rein gar nichts zu verstehen, als ich mich als Patientin mit Defibrillator und Kammerflimmern anmelde.
    Das Klinikum in Essen besteht aus diversen Einzelgebäuden. Da ich mich kaum auf den Beinen halten kann, schleift Harald mich mehr oder weniger durch das Gebäudelabyrinth und durch einen Schilderwald an Wegweisern. Nach ungefähr zehn Minuten, die uns beiden als geradezu endlos erscheinen, betreten wir schließlich ein Gebäude mit dem Schild »Notaufnahme«.
    Es ist ein altes, dunkles Gebäude. Der lange Flur ist menschenleer, und kein Geräusch ist zu hören.
    Während Harald mich über den Gang schleppt, öffnet sich eine Tür, und plötzlich steht ein Arzt vor uns. Er kann mit den Begriffen Kammerflimmern und Defibrillator und sogar mit Brugada-Brugada-Syndrom etwas anfangen. Außerdem ist er so freundlich, mich auf dem Schreibtischstuhl aus seinem Büro in Richtung Notaufnahme zu rollen, weil kein Rollstuhl griffbereit ist. Der nette Arzt meldet uns noch in der Notaufnahme an, verschwindet dann aber im Krankenhausalltag.
    In der Ambulanz empfängt Harald und mich ein Mitarbeiter, der unsere Anwesenheit ganz offensichtlich als Belästigung empfindet. Vielleicht ist er einfach nur frustriert und genervt, weil er an Weihnachten arbeiten muss – und durch meine Anwesenheit hat er nun wirklich Arbeit.
    Der Pfleger schließt mich an ein EKG an. Etwa eine halbe Stunde liege ich halb entblößt und frierend auf einer Liege, während meine persönlichen Daten erfasst werden.
    Mehrmals richtet der Mann seinen Blick auf den Monitor und meint schließlich: »Was wollen Sie denn eigentlich? Das sieht doch alles bestens aus.«
    Keine Ahnung, wie ich in dieser Situation meine Haltung bewahre, aber ich antworte nur: »Ja, der Defi hat den Herzrhythmus wieder in Ordnung gebracht. Heute Morgen hatte ich Kammerflimmern und daraufhin eine Schockabgabe.« Vielleicht hatte ich einfach eine bessere Kinderstube als mein Gegenüber …
    Der Pfleger zieht verächtlich eine Augenbraue nach oben, und ich weiß genau, dass er mich für eine hysterische Zicke hält. Einen weiteren Kommentar verkneift er sich jedoch.
    Dann erscheint ein Arzt der Sorte junger dynamischer Besserwisser. Er wirft ebenfalls einen Blick auf den Monitor: »Da ist doch alles in Ordnung.«
    Meine Geduld ist genügend strapaziert. Wir brauchen Fakten. Ich bitte Harald, dem Arzt einige EKG -Ausdrucke von Kammerflimmern, die ich in meiner Geldbörse mit mir herumtrage, zu reichen. Als der Arzt den ersten Blick auf diese Ausdrucke wirft, wird er plötzlich hektisch.
    Das Auslesegerät für den Defi muss gesucht werden. Keiner der Anwesenden hat auch nur den Hauch einer Ahnung, wo es sein könnte. Erst ein anderer Arzt, den man angerufen hat, weiß, dass diese Geräte im Keller deponiert sind. Doch den Kellerschlüssel hat der Hausmeister, und der ist Weihnachten natürlich nicht in der Klinik. Ein weiterer Pfleger wird losgeschickt, um den Schlüssel beim Hausmeister zu Hause abzuholen.
    Was sich wie ein schlechter Film anhört, ist für mich leider bittere Realität.
    Der junge Arzt hat inzwischen einige seiner Kollegen zusammengetrommelt. Sie starren gemeinsam auf die mitgebrachten
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