Ich uebe das Sterben
keine Blume. Der Zauber von Scharnebeck ist komplett verflogen. Ich ringe mit den Tränen, aber lasse mich dann doch wieder oberflächlich von der Ausgelassenheit meiner restlichen Gäste anstecken.
Am nächsten Tag kommt es zum Eklat. Harald ist zwar noch da, verschwindet aber ständig mit dem Handy um die Ecke. Ich bin wütend und verzweifelt und stelle ihn erneut zur Rede.
Er rastet aus, weist alle Vorwürfe von sich und fährt davon.
In den kommenden zwei Wochen bis zur Operation sehen wir uns nicht mehr und beschränken uns auf belanglose Telefongespräche. Jeder lebt in seiner eigenen Welt.
Meine ist erfüllt von Ungewissheit: Wie wird das mit Bob? Wird er genauso zuverlässig arbeiten wie Ted, der seine Arbeit jetzt vier Jahre lang perfekt gemacht hat? Wann werde ich in den Alltag zurückkehren können? Bekomme ich das mit den Hunden dann wieder auf die Reihe? Was wird aus Harald und mir? Gibt es überhaupt noch ein »Wir«?
Tief in mir drin weiß ich, dass Harald nur darauf wartet, dass die Operation endlich vorbei ist, damit er den Schlussstrich unter unsere Beziehung setzen kann. Dass er so »anständig« ist, mich nicht bereits vor der Operation zu verlassen, finde ich erbärmlich. Ich möchte keinen Freund haben, der nur aus Mitleid mit mir zusammen ist. Ich kann das zu diesem Zeitpunkt – entgegen meinem Naturell – jedoch nicht zur Sprache bringen. Ich brauche Energie für Bob, und so dulde ich stillschweigend eine sehr verletzende Wahrheit.
Bob
Ein Stück vom Himmel
Ein Platz von Gott
Ein Stuhl im Orbit
Wir sitzen alle in einem Boot
( zitiert aus »Stück vom Himmel«
von Herbert Grönemeyer )
Im freien Fall
A m 2. Juli fährt Harald mich in die Kerckhoff-Klinik nach Bad Nauheim. Er scheint unglaublich erleichtert zu sein, als er meine Taschen im Zimmer abgestellt hat und mich allein zurücklässt. Ich fühle mich leer.
Glücklicherweise habe ich keine Zeit zum Grübeln, denn es stehen noch einige Operationsvorbereitungen an: Blutentnahme, EKG , Ultraschall, Röntgen, Gespräche mit dem Narkosearzt und dem Chirurgen.
Und ich sehe »ihn« zum ersten Mal: Bob. Natürlich nicht den echten Bob, der ab morgen ein Teil von mir sein wird, aber einen Dummy. Er sieht cool aus, finde ich. Nicht so eckig wie Ted, sondern oval, und auch flacher als sein Vorgänger.
Optimistisch blicke ich in den nächsten Tag. Ich habe den ersten Termin im OP erhalten. Das finde ich gut, denn dann kann ich nachmittags schon wieder ein wenig spazieren gehen, auf dem Balkon sitzen und Bob die Welt zeigen.
Als Harald abends noch mal anruft, spüre ich, dass er auf dem Weg zu der anderen Frau ist. Aber ich bin zu verletzt, um zu weinen, und liege fast die ganze Nacht schlaflos in meinem Bett. Stumm und schwer wie ein Stein. Klare Gedanken habe ich keine, ich starre nur leer in die Nacht hinein.
Im Morgengrauen kommt eine Schwester und bringt mir die OP-Kleidung. Ich bin ruhig und gefasst, obwohl ich keine Beruhigungsmedikamente genommen habe.
Zum Mittagessen liege ich bereits wieder im Zimmer – mit Bob am Herzen und Ted auf dem Nachttisch. Ich bin immer noch ruhig und fühle mich den Umständen entsprechend gut.
Bald geht es mir jedoch schlechter. Offensichtlich hat es in die Wunde eingeblutet. Der Oberarm, die Schulter und der Brustbereich sind stark geschwollen, und ich habe heftige Schmerzen. Es ist so schlimm, dass die Ärzte beschließen, mich noch mal zu operieren. Ich bin bei alledem sehr gefasst, obwohl ich müde und kraftlos bin, keine Energie und noch weniger Kampfgeist habe.
Nach der zweiten Operation geht es mir miserabel. Mir ist übel, und ich muss mich andauernd übergeben. Außerdem leide ich unter Sehstörungen und friere selbst unter meinen drei Bettdecken. Der Körper stülpt die Seele nach außen.
Trotz meiner gesundheitlichen Probleme bemühe ich mich, schnell fit zu werden, denn ich möchte die Klink baldmöglichst verlassen. Ich will zu Harald, will endlich Klarheit. Es ist nahezu unerträglich für mich, in der Klinik gefangen zu sein, während Harald sich anscheinend anderweitig vergnügt.
Obwohl es mir am Montag, fünf Tage nach der Implantation, immer noch nicht wirklich gut geht, flehe ich die Ärzte geradezu an, mich zu entlassen. Und tatsächlich: Schon am Nachmittag verlasse ich die Klinik.
Harald holt mich ab, und wir fahren gemeinsam zu ihm nach Darmstadt. Er hat dort ein schönes Zimmer in einer Wohngemeinschaft mit einem eingebauten Hochbett, das nach den Strapazen der zwei
Weitere Kostenlose Bücher