Ich uebe das Sterben
Operationen für mich allerdings nur schwer zu erreichen ist. Haralds Vorschlag, in meine Wohnung nach Göppingen zu fahren, lehne ich jedoch resolut ab. Ich räume hier nicht freiwillig und auch nicht kampflos das Feld.
Aber mein Verbleib in der Wohngemeinschaft bessert die Stimmung in unserer Beziehung nicht. Harald ist genervt und schweigt mich an. Emotional betrachtet ist die Situation kaum zu ertragen. Ich kann nichts essen und fühle mich, als wäre ich ferngesteuert.
Zwei Tage nach meiner Heimkehr lerne ich Bob richtig kennen, als er mir einen lebensrettenden Stromstoß verpasst. Er fühlt sich genauso an wie Ted. Ich bin froh, dass er ebenso zuverlässig seinen Strom verteilt wie sein Vorgänger.
Aufgrund meiner miserablen seelischen und körperlichen Verfassung lasse ich mich erneut stationär im Krankenhaus aufnehmen. Vom dortigen Personal werde ich mal wieder freundlich empfangen.
In der Klinik finde ich ein wenig Ruhe. Ich bekomme Infusionen und jede Menge zu essen, denn ich bin ganz schön abgemagert. Schnell befinde ich mich auf dem Weg der Besserung.
Bereits am kommenden Wochenende fährt Harald beruflich nach Bayern, und ich begleite ihn.
Weil bei ihm ein Termin den anderen jagt, verbringe ich meine Zeit entweder allein im Zimmer oder bei kleinen Spaziergängen. Am liebsten würde ich die Laufschuhe schnüren und vor allem davonlaufen. Aber mein Körper ist noch geschwächt, und die Wunde noch nicht richtig verheilt. Mir selbst überlassen, habe ich endlos viel Zeit zum Grübeln. Zum ersten Mal bin ich ehrlich zu mir selbst und gestehe mir ein, dass Harald die Beziehung mit mir für sich schon abgeschlossen hat. Immer wieder stelle ich mir die Frage, warum ich es nicht schaffe, den Schlussstrich zu ziehen. Aber ich finde keine Antwort.
So bleibt zunächst alles, wie es ist.
Meine Seele ist leer, ich bin wie eine emotionslose Puppe, die einfach nur funktioniert. Auch Bob funktioniert, wie er mir beweist. Zum ersten Mal wünsche ich mir für einen Augenblick, dass er keinen Strom abgegeben hätte.
Die weiteren Wochen sind geprägt von Streitereien und Versuchen, Klarheit in unsere Beziehung zu bringen. Harald und ich fahren gemeinsam weg, aber diese Unternehmungen enden meist im Desaster. Wir finden einfach nicht mehr zueinander.
Dann gibt Harald endlich zu, in seine Laufkollegin verliebt gewesen zu sein, schwört aber, dass zwischen ihnen außer einem In-den-Arm-Nehmen nichts gelaufen sei. Mir bleibt die Luft weg.
Und es kommt noch schlimmer: Ich bemerke, dass es zwischen den beiden immer noch nicht aus ist. Wieder stelle ich Harald zur Rede. Diesmal gesteht er: Er betrügt mich, hat seit einem halben Jahr eine zweite Beziehung in Darmstadt.
Ich renne raus, in die Nacht, irre umher, planlos, ziellos. Es ist schwer, klare Gedanken zu fassen. Doch eines weiß ich: Ich werde um ihn kämpfen.
Harald jedoch weiß nicht, was er will – und das sagt er mir auch. Trotzdem bleibe ich optimistisch.
Aber auch mein Optimismus hilft mir nicht weiter: Harald macht bald endgültig Schluss mit mir. Meine Seele erfriert.
Wir vereinbaren, uns noch ein letztes Mal zu treffen.
Als Harald an meiner Tür klingelt und wir uns begegnen, steht eine unsichtbare Wand zwischen uns. Wir wissen kaum, was wir noch sagen sollen, und Harald ist froh, dass er noch einen Kasten Wasser holen kann, den er mitgebracht hat.
Beim Hochtragen stolpert er, ein paar Flaschen gehen zu Bruch, und Harald schneidet sich an der Hand. Ich nehme seine Hand, um sie in ein Taschentuch einzuwickeln – und in dem Moment fließt ein Strom.
Kein Strom von Bob, sondern eher eine unsichtbare Verbindung zwischen Harald und mir. Ein magischer Moment. Wir stehen uns gegenüber, mitten in den Scherben, halten uns an der Hand und wissen: Wir gehören zusammen.
Die Schmetterlinge fliegen – mehr als je zuvor.
Mein neu erwachtes Verliebtsein kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es mir gesundheitlich mäßig geht: Ich habe immer noch starke Schmerzen im Schulterbereich, und Bob gibt viele Stromstöße ab.
Meine Ärzte kommen zu der Erkenntnis, dass Bob nicht optimal liegt. Sie gehen davon aus, dass er Nerven einklemmt und dadurch Schmerzen verursacht. Wir entscheiden gemeinsam, dass wir zunächst noch etwas abwarten und schauen, wie sich mein Gesundheitszustand verbessert. Denn eine weitere Operation wäre für mich ein Albtraum.
Bob lässt mich allerdings nicht in Ruhe. Jedes Mal, wenn ich optimistisch in die Zukunft sehe, wirft
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