Ich uebe das Sterben
er mich zurück. Und mit jeder Schockabgabe falle ich tiefer.
Hinzu kommt, dass mein Körper von den Operationen und den Schockabgaben sehr geschwächt ist. Ich habe in drei Monaten fünfzehn Kilogramm an Gewicht verloren – und das hätte ich ganz sicher nicht nötig gehabt. Dadurch, dass ich seit frühester Kindheit immer viel Sport gemacht habe, hatte ich noch nie mit Übergewicht zu kämpfen. Momentan kämpfe ich eher damit, nicht völlig abzumagern. Ich fühle mich schwach. Und das, obwohl ich Harald an meiner Seite habe – und natürlich auch Basti und Merlin.
Aber es ist in diesem Jahr wohl zu viel passiert, das einen Schatten auf meine Seele wirft. Ich sitze in einem Tal und weiß nicht, wie ich mich befreien kann. Dabei sind meine Ansprüche noch nicht einmal hoch: Ich möchte ein normales Leben führen, mit Harald, den Hunden, meinem Job und meinem Sport.
Mein Kampfgeist wird wach.
Am 13. und 14. September gehe ich mit Harald beim Vierundzwanzig-Stunden-Lauf in Bobingen auf die Strecke. Das ist total verrückt, und das weiß ich. Aber ich hoffe, mithilfe des Wettkampfs einen Ausweg aus meinem Tal zu finden.
Harald dreht Runde um Runde, während ich fast nur spaziere. Immerhin, ich bewege mich vorwärts. Darum geht es. Weitergehen, egal, wie viele Steine im Weg liegen.
Nachts mache ich viele Pausen, wärme mich im Massagezelt auf und lausche der Musik einer Harfenistin, die im Kerzenschein fast engelsgleich erscheint.
Dann drehe ich im Morgengrauen wieder Runde um Runde. Die Sonne zeigt sich und wärmt mich auf. Ich spaziere weiter und habe das Gefühl, dass ich mit jedem Schritt vorwärtskomme. Ich fühle mich frei.
Als die vierundzwanzig Stunden vorbei sind, habe ich knapp über sechsundachtzig Kilometer geschafft. Das ist zwar keine sportliche Meisterleistung, aber das ist auch egal. Und es gibt sogar noch eine kleine Überraschung: Jede Frau, die vierundzwanzig Stunden durchgehalten hat, erhält einen kleinen Pokal und eine Urkunde.
Es sind oft die Kleinigkeiten, die einen Tag erhellen. In meinem Fall ist es ein kitschiger rot-goldender Pokal.
In den kommenden Wochen verbringe ich immer wieder Zeit in der Klinik, weil die Schmerzen nicht besser werden. Die Ärzte überlegen, was sie tun können, um eine weitere Operation zu verhindern. Wir probieren Krankengymnastik, Massagen, Akupunktur und Schmerzmittel aus. Aber es ändert sich nicht viel.
Bob sitzt einfach nicht an der richtigen Stelle, und den Ärzten bleibt nichts anderes übrig, als ihn zu verschieben. Der Termin für die Operation wird schnell festgesetzt: Es ist der 17. Dezember. Einerseits graut mir vor diesem Tag, andererseits habe ich die große Hoffnung, dass die Schmerzen danach weg sind und ich endlich wieder in den Arbeitsalltag zurückkehren kann.
Um den Kopf freizukriegen und meine zerrütteten Nerven zu entspannen, fahren Harald und ich eine Woche an die Nordsee. Wir haben ein kleines, sehr gemütliches Ferienhaus gemietet, das Wetter ist toll, und wir machen viele Spaziergänge an menschenleeren Stränden. Die Hunde toben, plantschen und buddeln nach Herzenslust. Ich genieße den Blick in die endlose Weite des Meeres.
Bob jedoch kann sich selbst im Urlaub nicht entspannen. Als er mir erneut einen Stromstoß schickt, ist meine Urlaubsstimmung dahin. Die Entspannung wird zur Anspannung. Ich frage mich, ob der Tod je aufhört, mich so hartnäckig zu jagen.
Auch die Adventszeit ist in diesem Jahr für mich nicht geprägt von idyllischen Stunden mit Kerzenschein, Lebkuchen und Glühwein, sondern vielmehr trägt mich die Anspannung durch die Tage der Wartezeit. Ich will die Operation einfach nur hinter mich bringen, um danach Weihnachten zu feiern.
Als ich am 16. Dezember mit Harald in der Klinik eintreffe, bin ich froh, dass das Warten ein Ende hat. Ich bin fast schon gut gelaunt. Harald sitzt noch lange bei mir, und wir reden, freuen uns gemeinsam auf Weihnachten und hoffen, dass die Operation meinen Schmerzen ein Ende bereitet.
Die Operation an sich verläuft gut, aber danach geht es mir schlecht. Meine Blutwerte sind im Keller, und ich muss mich zwei Tage lang ständig übergeben. Mein Körper wehrt sich gegen diese dritte Operation innerhalb eines Jahres.
Obwohl die Wunde wieder eingeblutet hat und ich mich schwach fühle, darf ich am Heiligen Abend die Klinik verlassen. Zum Glück.
Harald, Basti, Merlin und ich fahren nach meiner Entlassung direkt zu Haralds Mama, um gemeinsam mit ihr Weihnachten zu feiern. Es ist
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