Ich uebe das Sterben
Hawaii. Und was ich sehe, gefällt mir. Die Hotels füttern Katzen an, damit diese die Mäuse in Schach halten. An den schmalen Stränden sieht man Hunde nur ohne Leine, die meistens irgendwo im Schatten vor sich hindösen, ab und zu ein Bad nehmen und dann weiterfaulenzen. Sie sehen alle wohlgenährt und zufrieden aus.
Ich erfahre, dass es keinen Schlachthof auf Hawaii gibt. Das erklärt, warum Fleisch so unglaublich teuer ist. Dafür gibt es tollen Fisch, frische Früchte, Macadamia-Nüsse und den berühmten Kona Coffee, der für deutsche Gaumen allerdings nicht gemacht ist. Ich finde ihn jedenfalls scheußlich.
Die Zeit auf Hawaii vergeht wie im Flug. Ich habe die Möglichkeit, die Reisenden auf einige Ausflüge zu begleiten, und bekomme daher viel von Big Island zu sehen. Black Sands Beach, wo sich riesige Schildkröten am Strand tummeln, denen man sich allerdings nur bis auf drei Meter nähern darf (sonst droht eine Geldstrafe). Die hölzerne Kirche St. Benedict’s Church, die wunderschön, freundlich und farbenfroh bemalt ist. Die Kealakekua Bay, wo ich mit den anderen Reisenden in dunkel-türkisfarbenem Wasser schwimme und Delphine springen und spielen sehe. Die Puuhonua o Honaunau, eine Grabstätte für Häuptlinge und ein Zufluchtsort für Tabubrecher, die dort Schutz suchten und fanden. Der Volcanoes National Park mit seinen Rauchwolken und Kratern – eine imposante Kulisse, die ihresgleichen sucht. Rainbow Falls, der wunderbare, von riesigen Bäumen umrahmte Wasserfall. Der Kilauea Iki Loop Trail, auf dem man in einen subtropischen Regenwald mit bis zu fünf Meter hohen Farnpflanzen abtaucht. Eine Orchideenfarm. Eine kleine, abgelegene Bäckerei, die den leckersten Kuchen macht, den man sich vorstellen kann. Und nicht zu vergessen: meine zahlreichen Abstecher in die kleine Einkaufspassage in Kona, wo ich Mitbringsel, Schuhe und Klamotten kaufe.
Ein nächtliches Wellenbad bei Vollmond im Meer am White Sands Beach mit den Teamkollegen ist sicher eines der eindruckvollsten Erlebnisse dieser Zeit.
An einem schönen Sonntagmorgen bin ich gerade auf meiner Laufrunde unterwegs, als mich plötzlich ein riesiger Knall aus meinen Gedanken reißt. Gleichzeitig rüttelt und schüttelt es mich durch. Ich kann mich nicht mehr auf den Beinen halten, falle hin und bleibe liegen. Ich habe keine Ahnung, was vor sich geht. Dann denke ich an den Vulkan, der ausgebrochen ist. Im nächsten Augenblick bebt die Erde wieder, und nur zwei Meter von mir entfernt fällt eine Straßenlaterne um. Ich bekomme Panik, stehe auf und renne weiter.
Aber anstatt zurück ins Hotel zu laufen, bewege ich mich weiter in Richtung Pier, wo ich allmorgendlich schwimme. Auf dem Weg dorthin stolpere ich noch ein paar Mal, denn der Boden wackelt immer wieder. Der Zutritt zum Wasser ist verboten: Tsunami-Gefahr.
Ich stehe anscheinend unter Schock, denn selbst der Anblick von riesigen Rissen im Asphalt, zerborstenen Fensterscheiben und umgefallenen Laternen lässt mich einfach nur weiterlaufen. Ich laufe, als ginge es um mein Leben. Gar kein so falscher Gedanke.
Es ist seltsam still auf den Straßen, und ich renne zum alten Flughafen. Ein Auto hält neben mir an, und der Fahrer sagt, dass ich unbedingt vom Meer wegmüsse, weil Nachbeben angekündigt seien und es eine Tsunami-Warnung gebe. Er bietet mir an, mich ins Hotel zu fahren, aber ich drehe einfach um und laufe die ungefähr sechs Kilometer zurück zum Hotel.
Dort angekommen, erwache ich aus meiner Starre, denn das Hotel ist wegen Einsturzgefahr evakuiert worden. Ich erfahre, dass ich eben ein Erdbeben der Stärke 6,6 erlebt habe und bekomme Panik. Nicht nur wegen des Bebens, sondern auch wegen all meiner Wertsachen, all meinem Hab und Gut im Hotelzimmer.
Ich renne wieder los. Diesmal in Richtung Büro von Hannes Hawaii Tours, das ungefähr sechs Kilometer in der anderen Richtung liegt. Als ich das Büro erreiche, falle ich in mir zusammen. Ich zittere am ganzen Körper.
Eine Kollegin ist erstaunt, dass ich in Laufklamotten dort eintreffe, denn sie hat von dem Beben außer ein paar leichten Wacklern nichts mitbekommen. Ich erzähle ihr, was passiert ist und dass niemand Zugang zum Hotel hat. Sie wird ganz blass. Gemeinsam hoffen wir, dass die Nachbeben nicht zu heftig ausfallen und unser Büro weiterhin nicht zu sehr durchgeschüttelt wird.
Die nette Kollegin leiht mir Klamotten, und ich verschwinde unter die Dusche. Danach versuche ich, bei einem eisgekühlten Getränk erst mal
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