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Ich uebe das Sterben

Titel: Ich uebe das Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gritt Liebing
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runterzukommen.
    Das Telefon im Büro steht nicht still. Es gibt Fragen über Fragen: Kann der Triathlon überhaupt stattfinden, obwohl die Straßen sehr beschädigt sind? Kommt es noch zu weiteren Beben? Muss tatsächlich mit einem Tsunami gerechnet werden? Fragen, auf die wir auch keine Antworten wissen, obwohl wir uns im Internet ständig auf dem Laufenden halten und keine Neuigkeit verpassen wollen. Wir können lediglich beruhigend auf die Sportler einreden.
    Am Abend kann ich wieder in das Hotel und mein Zimmer zurückkehren. Dessen Anblick führt mir die Gewalt des Erdbebens vor Augen: Alle Schranktüren und Schubladen sind offen, alles, was darin war, auf dem Boden verstreut. Die Betten stehen quer im Zimmer, die Stehleuchten liegen, der Fernseher liegt auf dem Boden. Das Bad steht unter Wasser, denn die Toilette ist übergeschwappt. Gemeinsam mit meiner Kollegin räume ich schweigend unser Zimmer auf.
    Dann erhalten wir einen Anruf aus dem Büro: Es gibt eine weitere Tsunami-Warnung. Wir sollen unsere Wertsachen einpacken und ins Büro kommen. Von dort aus können wir im Falle eines Falles direkt mit den Autos hoch in die Berge fahren, um uns in Sicherheit zu bringen.
    Angespannt sitzen wir alle um den Computer mit Internetverbindung herum. Mitten drin Hannes, der sich auf Hawaii auskennt und auch schon einen Tsunami miterlebt hat. Draußen schüttet es wie aus Eimern. Das Wasser steht mehr als kniehoch auf den Straßen. Auf Hawaii gibt es keine Abflüsse, da das Wasser aufgrund der klimatischen Verhältnisse normalerweise innerhalb kürzester Zeit verdunstet.
    Gegen ein Uhr verstummen die Warnungen, und wir legen uns schlafen. Auf Sofas, auf dem Boden, einfach dort, wo Platz ist und man es sich gemütlich machen kann.
    Der nächste Morgen begrüßt uns mit strahlendem Sonnenschein und trockenen Straßen. Als ob nichts geschehen wäre.
    Die Hawaiianer nehmen das Erdbeben locker hin, und die Frage, ob der Ironman überhaupt stattfinden kann, stellt sich für sie gar nicht. Natürlich tut er das.
    Die Hang-loose-Mentalität der Einwohner ist bewundernswert, aber vielleicht auch notwendig – wenn man wie sie auf einer Insel beheimatet ist, auf der ständig die Gefahr der Vulkane, der Erdbeben und der Tsumanis lauert.
    Mit Hochdruck wird an der Reparatur der Straßen gearbeitet, damit die Radstrecke gesichert ist. Und kurze Zeit später ist alles schon fast wieder wie neu. Die Laternen sind aufgestellt, die Fensterscheiben ersetzt und alle Straßen befahrbar.
    Nachdem die Anspannung wegen des Erdbebens wieder nachlässt, wächst nun die Anspannung bei den Athleten.
    Der Wettkampftag ist nicht nur für die Athleten aufregend. Alle sind schon im Morgengrauen auf den Beinen.
    Ich genieße diesen Tag und bin merkwürdigerweise überhaupt nicht neidisch, dass ich hier nicht am Start bin. Wahrscheinlich weil ich weiß, dass ich für den Ironman Austria im Juli 2007 bereits gemeldet bin.
    Um die Mittagszeit trifft sich Hannes’ Team am Büro, denn das liegt direkt an der Laufstrecke. Wir machen Stimmung und haben eine Stereoanlage und eine Kühlbox mit Bier auf die gesperrte Straße gestellt. Selbst bestens gelaunt, feuern wir die Athleten an, auf die unbarmherzig die Sonne herunterbrennt.
    Und dann schlägt er zu. Wie aus dem Nichts, ohne Vorwarnung. Bob. Ich liege plötzlich direkt neben den Läufern auf dem Boden und bin zunächst völlig orientierungslos. Die Kollegen wissen glücklicherweise Bescheid über Bob – und das ist gut so. Sie schieben mir etwas Weiches unter den Kopf und reichen mir ein Glas Eiswasser.
    Die Party ist schlagartig beendet. Ich fühle mich hilflos, und es ist mir peinlich, weil die Augen aller vorbeilaufenden Athleten auf mich gerichtet sind.
    Einer erkennt mich sogar und bleibt stehen, um sich nach mir zu erkundigen. Ich sage nur: »Alles okay, mir ist nur schwindelig. Lauf weiter, du bist super!« Er trabt davon.
    Ich schaue ihm hinterher und bin beeindruckt, was es für Menschen gibt. Menschen, denen der Traum der sportlichen Ziele, der Ironman auf Hawaii, nicht so wichtig ist wie eine nur flüchtig bekannte Frau, die auf dem Boden liegt. Da habe ich schon ganz andere Erfahrungen gemacht. Mitten in der Darmstädter Fußgängerzone ist es mir schon passiert, dass sich keiner der Passanten Gedanken darüber gemacht hat, ob er mir helfen könne, als ich hilflos zuckend am Boden lag, während der Defi stromte.
    Allmählich kann ich mich mit Hilfe der Kollegen auf einen Stuhl setzen. Da

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