Ich uebe das Sterben
Katheteruntersuchung des Herzens. Lediglich der Weg, den der Katheter im Körper nimmt, ist ein anderer.
Meine Leiste wird betäubt. Obwohl ich der Ärztin mitteile, dass sie über die rechte Leiste kein Glück haben wird, weil diese durch die zahlreichen Untersuchungen schon total vernarbt ist und es sehr schwer ist, durch das feste Narbengewebe durchzukommen, versucht sie es dort. Sie pikt und pult und wühlt und kommt nicht in das Gefäß.
Völlig entnervt wendet sie sich anschließend der linken Leiste zu und nimmt sich nicht mal die Zeit zu warten, bis die lokale Betäubung wirkt. Das verursacht unangenehme Schmerzen.
Ich greife gedanklich zu meinem Buch der Erinnerungen und nehme ein Stück Hawaii heraus – den Sonnenuntergang und den Sternenhimmel auf dem Mauna Kea –, und so gelingt es mir, ganz ruhig und locker liegen zu bleiben.
Die Ärztin schiebt den Katheter durch meine Leiste, vorbei an der Niere, hoch in den linken Brustbereich. Von dort aus will sie zur rechten Halsseite gelangen, um das Gefäß, das die Strömungsgeräusche von sich gibt, zu untersuchen. Dies gestaltet sich schwieriger als erwartet, da die Elektrode vom Defi den Weg einengt.
Nach ungefähr einer Stunde habe ich die Prozedur überstanden. Ich bekomme riesige Druckverbände an die Leisten gelegt und soll mich anziehen. Ich bin verwirrt. Normalerweise liegt man nach einer solchen Untersuchung mindestens vier Stunden ruhig auf dem Rücken. Zumindest kenne ich das von den Untersuchungen am Herzen so. Als ich noch mal nachhake, ob ich wirklich aufstehen kann, wird dies bestätigt.
Während der Wartezeit auf die Ergebnisse soll ich dann doch in einem kleinen Zimmer liegen. Dort verbringe ich eine lange Weile und komme mir abgeschoben vor. In dem Raum ist es kalt, die Pritsche ist hart, und mir wird noch nicht einmal Wasser angeboten. In dieser Arztpraxis fühle ich mich alles andere als wohl.
Endlich kommt ein Arzt, um die Ergebnisse mit mir zu besprechen. Ich hätte eine arteriovenöse Fistel, teilt er mir mit. Das sei eine Verbindung zwischen einer Arterie und einer Vene, die es im Normalfall nicht gebe. Diese Malformation müsse unbedingt unterbunden werden, auch wenn die Operation keine leichte sei. Weil er eine Fistel in der Art und Größe noch nie gesehen habe, würde er sich gerne der Herausforderung stellen und sie selbst operativ entfernen. In seinem Redefluss merkt er noch an, dass ich wohl zu der Sorte hysterischer Frauen gehöre, da ich über Schwindel klage und das ganz sicher nicht von dieser Gefäßmalformation kommen könne. Anschließend bittet er mich, möglichst schnell zu gehen, da er eigentlich schon lange Feierabend habe.
Ich kann gar nicht glauben, was ich höre. Mir ist unverständlich, wie man als Arzt einem Patienten gegenüber so unsensibel sein kann. Eines hingegen weiß ich: Dieser Mensch fasst mich niemals an, und er schneidet schon gar nicht an meinem Hals und meinen Gefäßen herum.
Still packe ich meine Sachen zusammen und gehe zurück in den Eingangsbereich der nahegelegenen Kerckhoff-Klinik, um auf Harald zu warten, der mich abholt.
Bevor ich mich darum kümmern kann, wie es mit meiner arteriovenösen Fistel weitergeht, muss ich mich erst einmal um Harald kümmern.
Harald, der in meine Fußstapfen treten möchte und sich für seinen ersten Ironman im Juli in der Schweiz vorbereitet, kommt bei seinem Radtraining auf Straßenbahnschienen zu Fall. Dabei trägt er nicht nur Schürfwunden und Prellungen davon, sondern leider auch einen komplizierten Bruch im linken Handgelenk.
Wir finden einen guten Orthopäden, der auch Chirurg ist, und dieser flickt Haralds Handgelenk in einer langen Operation mit vielen Schrauben und Platten wieder zusammen.
Als wir dem Arzt erzählen, dass Harald am Ironman-Wettkampf teilnehmen möchte, macht er Harald Hoffnung. Er sei guter Dinge, Harald bis dahin so fit zu machen, dass er an den Start gehen könne.
Mir wird in dieser Zeit vor Augen geführt, wie viel Unterstützung ich im Alltag von Harald bekomme. Das war mir gar nicht wirklich bewusst. Einerseits ist es natürlich toll, dass ich einen Partner habe, der mich so grandios unterstützt, andererseits merke ich nun extrem, was die Krankheit aus mir gemacht hat und wie viel von meiner Unabhängigkeit und Freiheit ich aufgeben musste.
Glücklicherweise habe ich Freunde wie Nele, Tina, Andy, Stefan und Kirstin, die mir mit den Hunden und auch mit Einkäufen und anderen Dingen helfen. Natürlich bieten auch
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