Ich übe für den Himmel
Schröder.
Aber es scheint Jonathan nicht die Bohne zu interessieren, wer wo schlief und pinkeln ging.
»Wenn er nach Ewigkeiten aufschließt, heißt es: ›Sofort auf eure Zimmer!‹«
»Na, da hast du doch wenigstens deinen Computer«, versuche ich ihn zu trösten.
»Denkst du. Meinen Computer und meinen Fernseher durfte ich noch nicht auspacken.« Er schneuzt sich ausführlich und laut die Nase. »Mein Vater hat immer etwas zu meckern. Egal, was Larissa oder ich machen. Meistens hat er schlechte Laune und brüllt auch Mama an. In dem großen Haus haben wir viel mehr Platz als in Dresden. Ich weiß auch nicht warum, aber ich habe das Gefühl, er ist überall gleichzeitig. Und Mama macht sich immer kleiner. Larissa und ich haben uns versprochen, dass wir zu ihr halten.«
Frau Schröder streicht ihm über den Arm.
»Hat dein Vater schon eine Arbeit in Hamburg?«, erkundigt sie sich.
»Er will hier neu anfangen mit einem Mann, den er noch aus München kennt. Wieder in Immobilien, Vermietung und An- und Verkauf und so. In Dresden kann er sich nicht mehr blicken lassen. Niemand will dort noch Geschäfte mit ihm machen. Mama und ich hoffen, dass er keine krummen Dinger mehr dreht. Aber man weiß bei ihm nie.«
Jonathan gesteht, dass er sich mit seiner Schwester unterm Dach meistens zu Tode langweilt. Und – mir bleibt die Spucke weg – er liest Larissa dann aus einem dicken Märchenbuch vor, das ihre Mutter ihnen heimlich zugesteckt hat.
»Echt coole Geschichten.« Er grinst verlegen und wird rot. Etwa meinetwegen? Der kann ja sogar süß aussehen! Hilfe, mir wird ganz heiß … Hoffentlich sieht er das nicht.
Zwölf
Inzwischen haben wir Schulferien. Die warme Sonne scheint vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Bei Sonnenaufgang gehen Mama, Papa, Eddie und ich runter an den Fluss. Am Elbstrand singen wir, sammeln Federn und schöne Steine und finden sogar manchmal Holzscheite für unseren Kamin. Abends essen wir alle im Garten. Mit Frau Schröder, Oma und Opa. Wir verreisen nicht. Wir bleiben in Blankenese. Eddie besucht am Tag meistens Oma und Opa oder ist bei einem Freund in der Nachbarschaft.
Jonathan und ich haben uns schon ein paar Mal bei Frau Schröder getroffen. Wir reden und reden, bis uns die Münder fransig werden. Das heißt: Jonathan redet meistens, ohne Punkt und Komma. Seine Geschichten sind wie ein rauschender Wasserfall aus Worten. Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus. Er erzählt von seiner großen Angst vor dem Umzug nach Hamburg. In Dresden spielte er aktiv in einer Fußballmannschaft und war in einem Skateboardclub, der sich jeden Abend am Elbufer getroffen hat.
»Ich habe zwei richtig gute Freunde in meiner früheren Klasse. Bei denen kann ich mich über meinen Vater auskotzen. Wenn mein Computer angeschlossen ist, hau ich wieder rein, da kannst du Gift drauf nehmen, Isha. Stell dir vor, die Klassenlehrerin hat sogar ein Abschiedsfest für mich organisiert! Das hätte ich nie gedacht.«
Er strahlt wie ein Honigkuchenpferd.
»Komme ich morgens in die Klasse und da haben meine beiden Kumpels am Abend vorher mit Frau Dau, meiner Klassenlehrerin, den Raum heimlich geschmückt! Es gab ein Frühstück mit belegten Brötchen und ich bekam ein Buch von Frau Dau.«
Sie schenkte ihm ein Buch über die Zerstörung von Dresden in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges und vom Aufbau danach. »Na ja, ein bisschen öde«, meint er, »ein Computerspiel wäre mir lieber gewesen.«
»Aber Jonathan, das hat sie bestimmt gut gemeint. Hebe es dir auf für später«, mischt sich Frau Schröder ein.
»Meine Klasse hat mir Knieschützer geschenkt, richtig stark. Ich hätte beinahe geflennt. Habe ich aber nicht.«
»Hättest du aber mal lieber«, sage ich.
»Nee. Mein Vater sagt immer: ›Indianer weinen nicht‹«, unterbricht Jonathan mich.
»Blöder Spruch«, grunze ich.
»Ist doch Quatsch!«, unterstützt Frau Schröder mich. »Indianer weinen auch. Ebenso Elefanten, wenn sie schlecht behandelt und geschlagen werden. Alles, was lebt, weint auf seine Art.«
»Meine Mama weint auch viel, aber meistens ganz leise.«
Jetzt tut er mir tatsächlich schon wieder leid, gleich fange ich auch noch an zu flennen. Aber da war doch noch was? Ich denke scharf nach. Jetzt hab ich es:
»Clowns malen sich Tränen unter die Augen.«
»Sehr gut, Isha. Lachen und weinen wohnen manchmal dicht beieinander«, sagt Frau Schröder nachdenklich.
»Du findest meine Klamotten beschissen, stimmt’s?«,
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